Syphilis ist wohl älter als bisher gedacht

Ähnliche Erkrankungen bereits vor Kolumbus in Amerika?
lz
Skelett auf der Fundstelle in Jubuicabeira II, Brasilien.
Skelett auf der Fundstelle in Jubuicabeira II, Brasilien. © Dr. Jose Filippini
Newsletter­anmeldung

Bleiben Sie auf dem Laufenden. Der MT-Dialog-Newsletter informiert Sie jede Woche kostenfrei über die wichtigsten Branchen-News, aktuelle Themen und die neusten Stellenangebote.


2.000 Jahre alte Skelette aus Brasilien beweisen, dass Menschen offenbar bereits lange vor der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus an Syphilis-ähnlichen Erkrankungen – sogenannten Treponematosen – gestorben sind.

Die neuen Erkenntnisse stellen bisherige Theorien zur Verbreitung von Syphilis durch die spanischen Eroberer in Frage. Die Geschichte der Entstehung und Ausbreitung von Infektionskrankheiten ist nicht erst seit der COVID-19-Pandemie von großer Bedeutung für die globale Gesundheit. Mit modernen Labormethoden können Forscherinnen und Forscher heute kleinste DNA-Spuren von Krankheitserregern in prähistorischen Funden bestimmen. Damit können sie die historische Ausbreitung und die evolutionäre Entwicklung von Erregern nachzeichnen.

2.000 Jahre alte Skelette in Brasilien untersucht

Eine internationale Forschungsgruppe um Prof. Dr. Verena Schünemann von der Universität Basel, früher Universität Zürich, in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich und den Universitäten Wien und Sao Paulo, hat prähistorische Knochen von vier Menschen untersucht, die vor 2.000 Jahren in der Küstenregion Santa Catarina in Brasilien verstorbenen sind. Die sichtbaren pathologischen Veränderungen an den prähistorischen Knochen deuten auf eine Syphilis-ähnliche Erkrankung der Verstorbenen hin, die wahrscheinlich zum Tod geführt hat.

Ancient DNA aus kleinsten Knochenproben

Mit feinen Bohrwerkzeugen aus der Zahnmedizin entnahmen die Forscherinnen und Forscher unter sterilen Bedingungen kleinste Knochenproben und isolierten daraus prähistorisches Erbgut der Syphilis-Erreger, so genannte Ancient DNA. Ihre publizierte Studie zeigt, dass alle untersuchten Bakteriengenome dem Stamm der Treponema pallidum endemicum zuzuordnen sind, also den Erregern der endemischen Syphilis (englisch Bejel).

Treponematosen sind eine Gruppe von Infektionskrankheiten, zu denen auch die sexuell übertragene Syphilis gehört. Während Syphilis als Geschlechtskrankheit ein weltweites Gesundheitsrisiko darstellt, kommt die über Hautkontakt übertragene endemische Syphilis/Bejel nur noch in sehr trockenen Gebieten Afrikas und Asiens vor.

Endemische Syphilis 1.000 Jahre vor Kolumbus

„Wir können mit unserer Untersuchung nachweisen, dass die endemische Syphilis bereits vor etwa 2.000 Jahren in feuchten Zonen Brasiliens vorhanden war“, sagt Verena Schünemann. Menschen haben sich also bereits mehr als 1.000 Jahre vor der Ankunft von Kolumbus in der Neuen Welt mit der endemischen Syphilis angesteckt, wahrscheinlich über Hautkontakt.

Bis heute wird in der Fachwelt und unter Medizinhistorikern intensiv darüber debattiert, ob Matrosen und Söldner des Christoph Kolumbus bei ihrer Rückkehr 1492 die sexuell übertragbare Syphilis aus der Neuen in die Alte Welt eingeschleppt haben. Ab Ende des 15. Jahrhunderts breitete sich die Krankheit insbesondere in Hafenstädten Europas rasant aus.

Hat Kolumbus die Syphilis nicht nach Europa gebracht?

„Dass wir in den brasilianischen Knochen nur den Erreger der endemischen Syphilis gefunden haben und nicht den Erreger der sexuell übertragbaren Syphilis, lässt die Frage nach dem Ursprung derzeit zwar noch offen“, sagt Kerttu Majander, Postdoktorandin an der Universität Basel und eine der Erstautorinnen der Studie. Für die Autoren der Studie spricht aber Vieles dafür, dass Treponematosen bereits vor der Rückkehr von Kolumbus in Europa verbreitet waren.

„Da wir in Südamerika keine sexuell übertragene Syphilis gefunden haben, erscheint die Theorie, dass Kolumbus Syphilis nach Europa gebracht hat, immer unwahrscheinlicher“, sagt auch Schünemann. Vielmehr deuten frühere Funde ihrer Gruppe zum Beispiel in Finnland und Polen darauf hin, dass es auch in Europa bereits Formen von Treponematosen gab.

Waren Rekombinationen die Treiber?

Viele Bakterienarten tauschen evolutionär nützliche Eigenschaften über den so genannten horizontalen Gentransfer oder Rekombination aus. Der Vergleich der prähistorischen DNA in den Knochen aus Brasilien mit heutigen Krankheitserregern zeigt, dass solche Rekombinationsereignisse stattgefunden haben. „Wir können zwar nicht genau sagen, wann dieser Austausch stattgefunden hat, aber er ist wahrscheinlich der treibende Mechanismus für die Entstehung der heutigen Unterarten der Erregerfamilie“, sagt Marta Pla-Díaz von der Universität Basel.

Entstehungsgeschichte der Erreger reicht weiter zurück als angenommen

Der DNA-Vergleich erlaubt es auch, den Zeitpunkt der Entstehung der Treponema pallidum-Familie zu datieren. Die Untersuchungen zeigen, dass diese Erreger im Zeitraum zwischen 12.000 und 550 v.Chr. entstanden sein müssen. Die Entstehungsgeschichte dieser Erreger reicht damit sehr viel weiter zurück als bisher angenommen.

„Auch wenn der Ursprung der Syphilis noch Raum für Spekulationen lässt, wissen wir jetzt zumindest zweifelsfrei, dass Treponematosen den amerikanischen Ureinwohnern schon Jahrhunderte vor dem Kontakt mit den Europäern nicht unbekannt waren“, sagt Schünemann abschließend. Sie und ihr Team sind zuversichtlich, dass dank den Fortschritten in der Bestimmung von prähistorischer DNA auch der Ursprung der Geschlechtskrankheit Syphilis geklärt werden kann.

Literatur:
Kerttu Majander, Marta Pla-Díaz et al.: Redefining the treponemal history through pre-Columbian genomes from Brazil. Nature (2024), DOI: doi.org/10.1038/s41586-023-06965-x.

Quelle: idw/Uni Basel

Artikel teilen

Online-Angebot der MT im Dialog

Um das Online-Angebot der MT im Dialog uneingeschränkt nutzen zu können, müssen Sie sich einmalig mit Ihrer DVTA-Mitglieds- oder Abonnentennummer registrieren.

Stellen- und Rubrikenmarkt

Möchten Sie eine Anzeige in der MT im Dialog schalten?

Stellenmarkt
Industrieanzeige