Ursache des Fragilen X Syndroms

Neuronale Fehlentwicklung
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Nervenzellfortsätze (Dendriten)
Nervenzellfortsätze (Dendriten) einer Kontroll-Maus* TU Braunschweig
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Beim Fragilen X Syndrom handelt es sich um die häufigste vererbbare Form kognitiver Beeinträchtigungen bei Kindern. Sie ist auch oft verbunden mit einer Autismus-Erkrankung.

Welche neuronalen Fehlfunktionen dem Fragilen X Syndrom zu Grunde liegen, war bisher weitgehend unbekannt. Die Abteilung zelluläre Neurobiologie des Instituts für Zoologie der Technischen Universität Braunschweig hat jetzt eine weitere Ursache für die Entstehung dieser Krankheit eingrenzen können.

Neuronale Entwicklungsstörungen wie Autismus sind häufig durch eine Beeinträchtigung im Heranreifen der Verbindungen zwischen Nervenzellen gekennzeichnet. Wenn dort unwichtige Information nicht herausgefiltert werden, kann es zu einer regelrechten Reizüberflutung kommen. Den Ursachen dafür sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Leitung von Prof. Martin Korte, TU Braunschweig, jetzt ein Stück näher gekommen – und zwar im Rahmen von Grundlagenforschung zur Funktionsweise unseres Gehirns.

Zwei „Verdächtige“, aber nur ein „Täter“

Die Arbeitsgruppe beschäftigt sich seit längerem mit zwei Proteinen, die das Zytoskelett von Nervenzellen modulieren: den sogenannten Profilinen (Michaelsen et al. 2010, Rust & Michaelsen-Preusse, 2016). Die hochspezialisierten Nervenzellen unseres Gehirns enthalten zwei Profiline: eine evolutiv – also in der Entwicklung der Lebewesen - ältere Form (PFN1), welche in jeder Körperzelle gebildet wird, und zusätzlich das evolutiv jüngere PFN2a, das nur im Nervensystem zu finden ist. Beide kamen als „Kandidaten“ für die Ursachen von Entwicklungsstörungen infrage. Das Forschungsteam hat nun nachgewiesen, das nur PFN1 für die Fehlentwicklung zuständig ist.

Wie funktioniert das Gehirn?

Um dies festzustellen, mussten die Forscherinnen und Forscher zuvor der Funktionsweise eines gesunden Gehirns näherkommen. Die Profiline sind in nahezu allen Lebewesen, vom Pilz bis zum Säugetier, anzutreffen. Auch im menschlichen Körper sind in verschiedenen Körperzelltypen mehrere Profiline nebeneinander zu finden. Sie sind in ihrem Aufbau sehr ähnlich, in ihrer Funktion jedoch höchstwahrscheinlich sehr unterschiedlich. Vor allem im Nervensystem ist dies bisher jedoch noch weitgehend unerforscht. Die Arbeitsgruppe konnte im Rahmen ihrer neuen Studie aufklären, warum unsere Nervenzellen genau zwei Profiline benötigen, und damit der Lösung eines Rätsels der Evolution einen Schritt näherkommen.

Während unserer Entwicklung verbinden sich Milliarden von Nervenzellen zu funktionalen Netzwerken, die es dem menschlichen Gehirn erlauben, so verschiedene Aufgaben wie Fahrradfahren oder mitunter sogar das Verständnis der Relativitätstheorie zu bewältigen. Jede Nervenzelle bildet dabei Verknüpfungen, so genannte Synapsen, aus. Sie reifen heran, bis sie ihre volle Funktionsfähigkeit erreichen. Hierbei ist besonders das „Gerüst“, das strukturgebende Zellzytoskelett, gefragt, welches der reifen Synapse schließlich eine stabile Form verleiht. Dieses Zytoskelett ist aber zugleich auch ein Leben lang flexibel, um auf Veränderungen der Signalübertragung reagieren zu können. Dieses Phänomen wird als neuronale Plastizität bezeichnet und erlaubt es uns, zu lernen und neue Informationen in diesen neuronalen Netzwerken abzuspeichern.

*FXS Mausmodell sowie das FXS Mausmodell, in dem die zu geringe Konzentration von PFN1 durch Manipulation der Genexpression erhöht wurde (Überexpression von PFN1). Die Pfeile deuten auf einzelne Synapsen hin. Diese haben im reifen Zustand eine pilzähnliche Form, bei FXS jedoch sind sie unreif und gleichen eher langen, dünnen Ästchen. Die zusätzliche Expression von PFN1 lässt die Synapsen reifen, so dass die Form nicht mehr von der Kontrolle zu unterscheiden ist.

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Ein Protein baut auf, das andere sorgt für Beweglichkeit

Das Forscherteam konnte zeigen, dass das ältere PFN1 vor allem für die Bildung und das Heranreifen von Synapsen wichtig ist, um also die Grundverschaltung des menschlichen Gehirns zu bewerkstelligen. Das evolutiv gesehen jüngere PFN2a hingegen spielt eine essentielle Rolle für die Modulierbarkeit der Synapsenform, ein Prozess der vor allem bei der Gedächtnisbildung benötigt wird. Bemerkenswerter Weise zeigen die Daten auch, dass trotz ihrer hohen biochemischen Ähnlichkeit beide Profilin-Formen in entgegengesetzter Weise auf das Zytoskelett einwirken.

Eine entscheidende Ursache des Fragilen X Syndroms (FXS) ist das ungenügende Heranreifen von Synapsen, so dass diese im späteren Leben nicht für Lernvorgänge zur Verfügung stehen. Die Daten der Forschergruppe belegen nun, dass nur PFN1 und nicht PFN2a in der neurologischen Entwicklungsstörung FXS fehlerhaft reguliert ist. Es kann somit einer der Gründe sein, weshalb hier neuronale Netzwerke nicht richtig ausreifen.

Das Wissen um die Faktoren, welche für die Synapsenbildung benötigt werden und wie genau diese Faktoren im Verlauf neuronaler Entwicklungsstörungen, wie des Fragilen X Syndroms, fehlreguliert sind, kann dazu beitragen, diese in der Zukunft besser behandeln zu können. Erst wenn die Ursachen einer Krankheit bekannt sind, kann man diese auch gezielt therapieren. (idw, red)

Literatur:

Kristin Michaelsen-Preusse, Sabine Zessin, Gayane Grigoryan et al.: Neuronal profilins in health and disease: Relevance for spine plasticity and Fragile X syndrome. PNAS, online 07-03-2016.

Angaben zur Studie:

Ein Großteil der Ergebnisse wurde in primären neuronalen Zellkulturen gewonnen. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgte stets blind gegenüber der jeweiligen Experimentgruppe, so dass eine unbeabsichtigte Beeinflussung durch den Experimentator ausgeschlossen werden konnte. Für die Studie wurden Organe von 65 Mäusen eingesetzt, die an der TU Braunschweig gezüchtet wurden. Die Signifikanz der Studienergebnisse wurde durch statistische Analyse validiert.

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