Veranstalter waren die Klinik für Anästhesie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie und die Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie in Kooperation mit Panknin Kongressmanagement & Fachjournalismus Medizin, Berlin. An der Tagung nahmen knapp 50 Teilnehmer aus den Bereichen der Intensivmedizin, Hygiene und Krankenpflege aus der Region Nordhessen teil.
Historischer Rückblick
Einführend zum Tagungsprogramm berichtete Herr Prof. Dr. Bernd Reith, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, AGAPLESION DIAKONIE KLINIKEN KASSEL gemeinnützige GmbH, historische Aspekte über Wundinfektionen und ihre Prävention. Reith zitierte den renommierten Chirurgen, Theodor Billroth (* 26. April 1829 in Bergen auf Rügen; † 6. Februar 1894 in Abbazia, heute Opatija/Istrien), der für die Klinikhygiene damals forderte: „So sei über jedes Krankenhaus in großen Buchstaben geschrieben: Reinlichkeit bis zur Ausschweifung!“ Prof. Reith ging eindrucksvoll auf Wundinfektionen nach Verletzungen in der Antike ein. Diese Infekte waren häufig mit dem Tod vergesellschaftet. Prof. Reith stellte auch die Therapie von Wundinfektionen im Mittelalter vor, die häufig durch Ausbrennen der Wunde mit Feuer und Öl bestanden; häufig aber mit in einer Amputation und konsekutivem Tod endete. Im 18./19. Jahrhundert herrschten in den Krankenhäusern häufig Faulfieber (Hospitalfieber), wobei es sich nach heutiger Auffassung um Typhus, Fleckfieber und Rückfallfieber gehandelt haben muss.
Kindbettfieber
Auf die Besonderheiten von Ignaz Semmelweis (* 1. Juli 1818 in Buda, Teilbezirk Tabán; † 13. August 1865 in Oberdöbling bei Wien) ging Prof. Reith in besonderer Weise ein. Im Jahr 1861 hat Ignaz Philipp Semmelweis seine bahnbrechenden Erkenntnisse zur Infektionsverhütung, die er über Jahrzehnte in gynäkologischen und geburtshilflichen Kliniken gesammelt hatte, unter dem Titel „Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers“ veröffentlicht. Schon 30 Jahre zuvor (1847) hatte Semmelweis in seiner Klinik einen ersten Hygieneplan aufgestellt und diesen in einer Kohortenstudie evaluiert. Er konnte nachweisen, dass die Letalitätsrate in der geburtshilflichen Abteilung, in der Ärzte und Studenten arbeiteten, bei etwa 15–30 % lag, dagegen in der Abteilung, die von Hebammen geleitet wurde, nur bei 2 %. Seine kritische Analyse dieser Beobachtung führte zu der Hypothese, dass die von Ärzten und Studenten vorgenommenen Leichensektionen zwischen den Entbindungen Ursache der erhöhten Erkrankungs- und Sterberate sein müssen. Er erklärte sich dies (noch in Unwissenheit der Existenz von Krankheitserregern!) mit einer weiteren Vermutung: dass jedes Kindbettfieber durch die Resorption eines zersetzten tierisch organischen Stoffes entstehe. Durch Einführung der Händedesinfektion – als die wichtigste und billigste Infektionspräventionsmaßnahme – konnte das Kindbettfieber bzw. Müttersterblichkeit signifikant reduziert werden.
Lister mit Einsatz von Karbol
Auch der englische Chirurg, Lord Joseph Lister (* 5. April 1827 in Upton, Essex, † 10. Februar 1912 in Walmer, Kent) erzielte große Fortschritte bei der chirurgischen Wundversorgung durch den Einsatz von karbolgetränkten Verbänden, wodurch die Sterblichkeitsrate nach Unterschenkelamputationen signifikant reduziert werden konnte, so Prof. Reith in weiteren Ausführungen seines Vortrags.
Prof. Reith beendete mit diesen Ausführungen den historischen Teil und widmete sich den gegenwärtigen Hygieneproblemen in den Kliniken zu. Die Entdeckung und Einführung der modernen Antibiotika-Therapie während des zweiten Viertels des zwanzigsten Jahrhunderts übte eine revolutionäre Wirkung auf die Behandlung vieler etablierter Infektionen aus; aber klinische Erfahrung und experimentelle bakteriologische Untersuchungen haben gezeigt, dass ihre allgemeine Anwendung nicht dazu beigetragen hat, die Häufigkeit der chirurgischen Infektionen insgesamt zu vermindern. Darüber hinaus haben die weitverbreitete Anwendung und der unkritische Einsatz der antibiotischen Therapie ohne Zweifel die Probleme bezüglich der Prophylaxe der chirurgischen Infektionen verstärkt. Die weitverbreitete prophylaktische Anwendung der Antibiotika besonders bei chirurgischen Patienten hat dazu beigetragen, dass es zu einer ungerechtfertigten Überabhängigkeit von deren Wirksamkeit, einer Unterschätzung oder Missachtung der Bedeutung der überlieferten chirurgischen Prinzipien, einem Nachlassen des „chirurgischen Gewissens“ gekommen ist. Auch durch Missachtung der Isoliermaßnahmen in chirurgischen Abteilungen – im Glaube an den Antiinfektiva - hat zur Entstehung Antibiotika-resistenter Bakterien beigetragen, die sich konzentriert im Krankenhausmilieu ansiedelten.
Nosokomiale Infektionen im Blick
Bei der Betrachtung von Infektionskrankheiten stellen die nosokomialen Infektionen mit geschätzten 500.000-800.000 jährlichen Infektionen die häufigste Infektionskrankheit in Deutschland dar. Diese Zahlen unterstreichen die Bedeutung der Krankenhausinfektionen für das Gesundheitswesen allgemein, so Prof. Reith. Operationen gehören beispielsweise zu den medizinischen Maßnahmen, die den Patienten dem größten Risiko einer nosokomialen Infektion aussetzen. In der Epidemiologie von nosokomialen Infektionen in Deutschland stellen dabei die Wundinfektion mit einem Anteil von 24,3% die häufigste Infektionsart (Behnke M et al., Dtsch Arztebl 2013; 110: 627-33). Zu den Problemerregern zählen Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA); aber auch gramnegative Erreger mit besonderen Resistenzen. Erschreckend ist hierbei die Verbreitung von 3MRGN und 4MRGN (Multiresistente gramnegative Stäbchen mit Resistenz gegen drei bzw. vier der vier Antibiotikagruppen) bzw. panresistenter Keime, die Resistenzen gegen nahezu alle gängigen Antibiotikagruppen aufweisen. Zu den 4MRGN Erregern zählen Enterobakterien, Pseduomonas aeruginosa und Acinetobacter baumannii, die gegenüber den vier Antibiotikagruppen in der Behandlung von schweren Infektionen, wie den Acylureidopenicilline, 3./4. Generations-Cephalosporine, Carbapeneme und Fluorchinolone resistent sind. In seinem Fazit stellte Prof. Reith ganz klar fest: „Krankenhausinfektionen sind keineswegs neu; sie sind so alt, wie Kranke hospitalisiert werden! Will man das Wohl der Patienten im Besonderen und der Gesellschaft im Allgemeinen nicht gefährden ist Hygiene Grundvoraussetzung in Gesundheitseinrichtungen! Desinfektion, Sterilisation, Isolation und eine adäquate Antibiotikatherapie können Leben retten!“ Nach wie vor hat der Satz den Billroth einmal prägte: „Reinlichkeit bis zur Ausschweifung“ an Bedeutung nicht eingebüßt!
PD Dr. med. Bernhard Jahn-Mühl zu Clostridien
Der zweite Vortrag widmete sich den Clostridien. PD Dr. med. Bernhard Jahn-Mühl, Leiter Agaplesion Hygiene, AGAPLESION gAG Frankfurt am Main, stellte die Frage: Clostridium difficile – die neue (alte) Gefahr? Durchfallerkrankungen durch Clostridium difficile stellen weltweit ein zunehmendes Problem dar. Aus den USA, Kanada sowie einigen westeuropäischen Ländern wurde eine dramatische Zunahme von C.-difficile-Infektionen innerhalb und außerhalb von Krankenhäusern berichtet. Über Ausbrüche mit hochsymptomatischen C. difficile assoziierte Krankheitsbildern wurden zuerst in Kanada, USA (2000-2005) berichtet und später die Ausbreitung auch in Europa: Großbritannien 2003, Belgien und den Niederlanden 2005, Frankreich 2006, Deutschland März 2007, beschrieben. Ein altbekannter Erreger, C. difficile, hat sich in den letzten Jahren genetisch verändert und weist heute ein deutlich stärkeres Pathogenitätspotenzial auf, als in den 1980er und frühen 1990er Jahren. Die Diagnose Clostridium-difficile-Infektion zeigt seit dem Jahr 2000 einen drastischen Anstieg und die schweren Verlaufsformen nehmen seit 2010 überproportional zu.