NPC: Molekularer Verkehrsstau bei Lipiden

Seltene Erkrankung Niemann-Pick-Krankheit Typ C
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Mikroskopischer Blick auf Mikroglia
Mikroskopischer Blick auf Mikroglia zeigt Störungen im Umgang dieser Fresszellen, die zum Immunsystem des Gehirns gehören, mit einverleibten Fettstoffen. Links: Wildtyp-Mikroglia (WT), rechts: Mikroglia mit Merkmalen der Erkrankung NPC (Npc1-/-). Quelle: DZNE/Tahirovic Lab/Lina Dinkel
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Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DZNE präsentieren neue Einblicke in die Mechanismen der „Niemann-Pick-Krankheit Typ C“ (NPC). Diese Hirnerkrankung tritt vorwiegend im Kindesalter auf und kann sich unter anderem durch schwerwiegende neurologische und psychiatrische Symptome äußern.

Forscher/-innen um Dr. Sabina Tahirovic vom Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) fanden jetzt bei Studien an Mäusen mit defektem NPC1-Gen Belege dafür, dass NPC – ausgelöst durch Behinderungen des intrazellulären Fetttransports – schon im Frühstadium mit entzündlichen Prozessen im Gehirn einhergeht. Überdies entdeckten sie Krankheitsmerkmale im Blut von betroffenen Patienten, die künftig helfen könnten, den Verlauf der Erkrankung und die Reaktion auf eine Therapie besser zu erfassen.

Erblich bedingte Stoffwechselstörung

NPC ist eine erblich bedingte Stoffwechselstörung und zählt zu den seltenen Erkrankungen. In Deutschland sind schätzungsweise einige hundert Menschen betroffen. Bei ihnen sammeln sich Fettstoffe – sogenannte Lipide - im Gehirn und anderen Organen wie der Leber an. Die Folgen sind gravierend: Sie reichen von Psychosen über epileptische Anfälle und Störungen der Bewegung und Koordination bis hin zu kognitiven Beeinträchtigungen und Demenz. „NPC macht sich überwiegend bereits im Kindesalter bemerkbar“, sagt Dr. Sabina Tahirovic, Forschungsgruppenleiterin am DZNE-Standort München. „Aktuelle Therapien können die Symptome etwas lindern, den Verlauf der Erkrankung aber nicht dauerhaft aufhalten. Viele Patienten mit NPC versterben, bevor sie erwachsen sind.“

Hirnzellen mit Cholesterin und anderen Lipiden überfrachtet

NPC wird durch Fehler in einem von zwei Genen hervorgerufen: NPC1 und NPC2. Beide sind wichtig für das Recyceln von Fettstoffen und das Gehirn ist für Störungen im Fettstoffwechsel besonders empfindlich. Bei der NPC werden die Hirnzellen mit Cholesterin und anderen Lipiden überfrachtet, was zu Funktionsstörungen und langfristig zum Absterben von Nervenzellen führt. Von der Erkrankung ebenfalls betroffen sind die Immunzellen des Gehirns, die sogenannten Mikroglia. Sie verursachen entzündliche Prozesse („Neuroinflammation“). „Bisher ging man davon aus, dass die Reaktion der Mikroglia erst in späten Krankheitsstadien erfolgt. Wir haben nun festgestellt, dass Neuroinflammation bereits auftritt, bevor Nervenzellen zugrunde gehen“, erläutert Tahirovic. „Die entzündlichen Prozesse sind also nicht zwangsläufig eine Reaktion auf Nervenschäden, wie man angenommen hatte. Die Inflammation beginnt schon vorher und scheint zum Voranschreiten der Erkrankung beizutragen.“ Die Befunde des Teams um Tahirovic beruhen auf Studien an Mäusen mit defektem NPC1-Gen. Beim Menschen sind rund 95 Prozent der NPC-Erkrankungen auf Fehler in diesem Gen zurückzuführen.

Mikroglia außer Kontrolle

Die Mikroglia haben eine Schutzfunktion und sollen insbesondere zellulären Müll aus dem Weg räumen. Die Münchner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten jedoch fest, dass sich die Immunzellen überaus aggressiv verhielten. „Die Mikroglia schienen außer Kontrolle und eher Schaden statt Nutzen anzurichten. In unseren Experimenten zeigten sie die Neigung, sich übereifrig zelluläres Material einzuverleiben“, so Tahirovic. Bei der Suche nach den Ursachen für dieses Fehlverhalten nahmen die Forscher/-innen die Vorgänge im Zelleninneren unter die Lupe: mit überraschendem Ergebnis. „Bislang ist man davon ausgegangen, dass die Anhäufung von Lipiden bei der NPC die Abbaumaschinerie überfordert. Unsere Studien deuten jedoch auf Transportprobleme hin. Die Lipide könnten demnach abgebaut werden, aber auf dem Weg dorthin werden sie von einem molekularen Verkehrsstau aufgehalten“, sagt die Münchner Forscherin.

Blutproben von Patienten mit NPC untersucht

Ergänzend zu diesen Studien an Mäusen untersuchte Tahirovics Team auch Blutproben von Patienten mit NPC. Dank einer Kooperation mit der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Klinikum der Universität München (LMU) konnten die Forschenden das Blut von insgesamt sieben Patienten analysieren. „Das ist eine recht große Zahl, weil NPC so selten ist“, betont Tahirovic. „Menschliche Mikroglia sind nur schwer zugänglich, dazu müsste man Hirngewebe entnehmen. Deshalb haben wir uns weiße Blutkörperchen angeschaut. Konkret waren es sogenannte Makrophagen, sie sind enge Verwandte der Mikroglia.“

Makrophagen als mögliche Biomarker?

Tatsächlich zeigten sich zwischen den Makrophagen von Patienten und den Mikroglia von Mäusen mit NPC-ähnlichem Krankheitsbild zahlreiche Übereinstimmungen - sowohl bei molekularen Merkmalen als auch im aggressiven Fressverhalten. „Die Makrophagen scheinen wesentliche Merkmale der Mikroglia widerzuspiegeln. Wenn sie auch in ähnlicher Weise wie die Mikroglia auf Therapien reagieren, könnten sie als Biomarker nützlich sein“, so Tahirovic. „Das würde das bestehende Instrumentarium erweitern. Denn um den Krankheitsverlauf der NPC und die Reaktion auf Behandlungen zu erfassen, ist man derzeit im Wesentlichen auf eine Beobachtung der klinischen Symptome beschränkt.“

Kombinierte Therapien

Aktuelle Ansätze zur Behandlung von NPC zielen darauf ab, die Menge an Fettstoffen in den Zellen zu verringern. „Grundsätzlich ist das sinnvoll, denn die Überfrachtung mit Lipiden ist Auslöser der Erkrankung. Unsere Ergebnisse unterstreichen allerdings die Bedeutung von Entzündungsprozessen. Insofern sollte man bei der Therapieentwicklung auch die Kombination von Lipidreduktion und Modulation der Immunantwort in Betracht ziehen“, sagt Tahirovic.

Literatur:

Alessio Colombo, Lina Dinkel, Stephan A. Müller, et al.: Loss of NPC1 enhances phagocytic uptake and impairs lipid trafficking in microglia. Nature Communications (2021), DOI: 10.1038/s41467-021-21428-5.

Quelle: idw/DZNE

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