Gibt es künftig eine Glyphosat-Alternative?

Forschung an umweltfreundlichem Herbizid
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Optimale Formulierung für den Wirkstoff
Im Bielefelder Projektteil wird unter anderem die optimale Formulierung für den Wirkstoff entwickelt, also eine anwendbare Form für den Einsatz des Blaualgen-Zuckers als Herbizid. © F. Hüffelmann/HSBI
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Seit Jahren ist Glyphosat wegen seiner möglichen negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit heftig umstritten.

Für viele ist das Pflanzenschutzmittel Glyphosat ein rotes Tuch. Kritische Tierversuche werden in Diskussionen genauso herangezogen wie die Betonung, dass es in der Landwirtschaft nur schwer zu ersetzen sei. Denn Glyphosat vernichtet zuverlässig unerwünschte Pflanzen und ist weltweit im Einsatz. Es geht um viel Geld. Dennoch stand sogar ein Verbot des Herbizids in Deutschland und eventuell sogar in der ganzen EU im Raum. Nun könnte es eine Alternative geben, wenn es nach den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Hochschule Bielefeld und Uni Tübingen geht. Geforscht wird an einem umweltfreundlichen Herbizid auf Basis eines natürlichen Zuckers aus Blaualgen. Die Zwischenergebnisse seien vielversprechend.

Forschung an 7-deoxy-Sedoheptulose (7dSh)

Lebensmittelchemikerin Celina Beermann forscht im Labor für Biochemie und Mikrobiologie der Hochschule Bielefeld (HSBI) an 7-deoxy-Sedoheptulose (7dSh) – ein besonderer Zucker, der von Blaualgen, genauer: von Cyanobakterien – produziert wird. „7dSh wirkt herbizid, das heißt, er hemmt das Wachstum von Pflanzen“, erklärt Beermann. Klingt nüchtern und wenig spektakulär, bedeutet aber: 7dSh könnte eine Alternative für Glyphosat sein. Und vor allem: 7dSh sei eine umweltverträgliche Alternative. „Der Zucker ist biologischen Ursprungs, in der Natur abbaubar und nach bisherigen Tests toxikologisch unauffällig“, erläutert Beermann.

Spezieller Zucker wurde erst 2019 entdeckt

Wie aus dem Wirkstoff 7dSh ein anwendbares Präparat werden kann, wird derzeit in einem Kooperationsprojekt von HSBI und Universität Tübingen erforscht, wo der spezielle Zucker 2019 erstmals entdeckt wurde. Die HSBI wiederum übernimmt im Projekt unter anderem die Aufgabe, eine sogenannte Formulierung zu entwickeln. Formulierung bedeutet in diesem Zusammenhang schlicht die Überführung eines Wirkstoffes in eine in der Praxis anwendbare Form.

Suche nach Alternativen für das Gleisbett

An der Zusammenarbeit ist die Deutsche Bahn nicht ganz unschuldig: „Die Bahn hatte einen Workshop veranstaltet, um über Alternativen zum Glyphosat-Einsatz im Gleisbett zu diskutieren“, erzählt Prof. Dr. Anant Patel, Vizepräsident für Forschung und Entwicklung der HSBI, der seit vielen Jahren zu natürlichen Pestiziden forscht und veröffentlicht. Als Experte für Fermentation und Formulierung biologischer und chemischer Stoffe war Patel Teilnehmer des Workshops und wurde hellhörig, als Tübinger Forscher den Wirkstoff 7dSh vorstellten, der von Cyanobakterien produziert wird. Patel: „Wirkung und Umwelteigenschaften überzeugten sofort.“

Förderung des Projektes

Nur, wie gelangt der Wirkstoff in ausreichender Menge dorthin, wo er gebraucht wird, auf die Pflanze oder in den Boden? Hier konnte Patel seine Expertise einbringen: „Mit der entsprechenden Formulierung, als Granulat oder Sprüh-Lösung, wird die Anwendung unterstützt“, erklärt Patel und ergänzt mit einem Augenzwinkern: „Manche sagen auch, die Formulierung macht die Anwendung erst möglich.“ Schnell war klar: Tübinger und Bielefelder Kompetenzen konnten sich ergänzen, um 7dSh zu einem marktreifen und konkurrenzfähigen Präparat weiterzuentwickeln. Ein gemeinsames Projekt war beschlossene Sache, und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gab seinen Segen und die notwendige finanzielle Unterstützung. „Das Projekt füllt die Lücke zwischen Grundlagenforschung und Anwendung“, ordnet Patel den Forschungsbeitrag ein.

Suche nach geeignetem Trägermaterial

An der Uni Tübingen werden nun der genaue Wirkmechanismus von 7dSh geklärt, die öko-toxikologischen Effekte im Vergleich zu Glyphosat gemessen und 7dSh-tolerante Varietäten entwickelt. „Schließlich sollen die Nutzpflanzen ja weiterwachsen“, sagt Beermann. Sie selbst arbeitet als Promovierende in Prof. Patels Arbeitsgruppe an der optimalen Formulierung, wozu ein geeignetes Trägermaterial gehört. Für das Granulat hat Beermann verschiedene Materialien getestet: „Wichtig ist natürlich, dass sie ebenfalls biologischen Ursprungs sind und problemlos abgebaut werden.“ Die durchsichtigen Kapseln etwa bestehen aus nachwachsenden Rohstoffen. Dann geht es an den Inhalt: „Wie viel Zucker bekomme ich in so eine Kapsel hinein, und wie schnell löst sie sich auf? Der Wirkstoff soll am besten kontinuierlich über einen langen Zeitraum abgegeben werden, denn die Landwirte können ja nicht täglich das Präparat ausbringen“, erklärt Beermann.

Herstellung in großem Maßstab?

Lässt sich die Zuckermenge für den Laborbedarf noch gut finanzieren, wäre es für den Einsatz in der Fläche noch zu teuer. Hier setzt der Bielefelder Projektteil von Xenia Steurer an. Die Biotechnologin übernimmt quasi den Job der Blaualgen und arbeitet an der Erzeugung von 7dSh im Bioreaktor: „Der Wirkstoff muss wirtschaftlich und in großen Mengen hergestellt werden können, wenn er in der Praxis eingesetzt werden soll.“ Die Aussicht auf die tatsächliche spätere Anwendung ist genau das, was die Doktorandin antreibt: „Mir ist wichtig, dass meine Forschung zum Umweltschutz beitragen kann und der Wirkstoff eventuell von einem Unternehmen als nachhaltiges Herbizid verkauft wird.“ Beermann stimmt zu: „Der Anwendungsbezug ist besonders reizvoll an unserer Forschung.“ Patel: „Das Interesse der Unternehmen ist groß und eine Zusammenarbeit nach erfolgreichem Projektabschluss geplant.“

Quelle: idw/Hochschule Bielefeld

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