Wie docken Viren an molekular geprägte Rezeptorpolymere an?

Künstliche Antikörper nutzen viralen Fußabdruck
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molekulare Prägung eines Polymers
Die Schemagrafik zeigt die molekulare Prägung eines Polymers mit Hilfe von Virenpartikeln und das anschließende Wiederbinden dieser Viren. Grafik: Institut für Analytische und Bioanalytische Chemie der Universität Ulm
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Erstmals gelang es einem Ulmer Forscherteam mit Hilfe eines besonderen Mikroskopieverfahrens zu visualisieren, wie Viren an molekular geprägte Rezeptorpolymere andocken. Mit dieser Technik lassen sich künstliche Antikörper herstellen, die möglicherweise auch für den diagnostischen Nachweis des neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) eingesetzt werden können.

Viren können mit Hilfe spezifischer biologischer Antikörper nachgewiesen werden. Mittlerweile lassen sich aber auch synthetische Rezeptormaterialien herstellen, die Viren selektiv binden können. Dafür wird an der Oberfläche von Polymerpartikeln ein ‚chemischer Abdruck‘ des Virus erzeugt, der die exklusive Bindung dieses Erregers ermöglicht. Erstmals gelang es nun einem Ulmer Forscherteam mit Hilfe eines hochauflösenden Mikroskopieverfahrens tatsächlich zu zeigen, wie Viren an solche molekular geprägten Rezeptorpolymere andocken. Die Hoffnung der Wissenschaftler: Diese hochselektiven künstlichen Antikörper können möglicherweise auch für den diagnostischen Nachweis des neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) eingesetzt werden.

Bindung des Virus visualisiert

Schon länger ist bekannt, dass man auf Polymer-Basis künstliche Antikörper herstellen kann, die selektiv bestimmte Viren binden. Dafür wird die Oberfläche von Mikro- oder Nanopartikeln einer sogenannten molekularen Prägung unterzogen. „Beim ‚molecular imprinting‘, wird das Rezeptormaterial mit dem spezifischen ‚Fußabdruck‘ eines Virus versehen. Dieser sorgt dafür, dass kein anderer Virus an dieser Stelle andocken kann“, erklärt Professor Boris Mizaikoff, der mit seiner Arbeitsgruppe zur molekularen Prägung forscht. Der Leiter des Institutes für Analytische und Bioanalytische Chemie ist Koordinator der Studie, die gerade erst veröffentlicht wurde. Das Besondere an der Untersuchung: Zum allerersten Mal sei es gelungen, die erneute Bindung des Virus an den künstlichen Antikörper nicht nur chemisch nachzuweisen, sondern auch zu visualisieren.

Nutzung der STED-Mikroskopie

Die höchstauflösende Abbildung von molekularen Strukturen ist eine Spezialität der Arbeitsgruppe von Professor Jens Michaelis. Der Leiter des Instituts für Biophysik hat hierfür ein spezielles superauflösendes Bildgebungsverfahren zum Einsatz gebracht, das Aufnahmen mit höchster räumlicher Auflösung ermöglicht: die sogenannte STED-Mikroskopie. Bei der „Stimulated Emission Depletion“ konnten mit Hilfe spezieller Fluoreszenzfarbstoffe einzelne Viruspartikel sichtbar gemacht werden. Auf der anderen Seite haben die STED-Aufnahmen auch gezeigt, dass die Viren an nicht geprägte Polymer-Partikel nur sehr selten binden. „Auch dieses Ergebnis konnte in der Studie erstmals visuell bestätigt werden“, sagt Michaelis.

Selektive Bindungsmaterialien maßgeschneidert herstellen

Die molekulare Prägung ist ein biotechnologisch und pharmazeutisch hochrelevantes Verfahren, um selektive Bindungsmaterialien maßgeschneidert herstellen zu können. „Das Besondere daran: Wir können damit künstliche Antikörper im Chemielabor herstellen und zwar in vielen Fällen, ohne dass dafür infektiöses Material notwendig ist“, so Mizaikoff. Denn in der Regel reiche es aus, ein häufig vorkommendes Protein aus der Virushülle als Templat, das heißt als ‚chemische Druckvorlage‘, zu verwenden. Auch von Vorteil: Das Verfahren sei hochskalierbar, biete sich also auch für die Produktion im industriellen Umfang an.

Für das Projekt haben die Ulmer Forschenden mit dem regionalen Biotechnologieunternehmen Labor Dr. Merk & Kollegen GmbH in Ochsenhausen zusammengearbeitet. „Die Kooperation war sehr fruchtbar, hat uns das Unternehmen doch dabei unterstützt, konkrete Anwendungsfragen zu bearbeiten und Einsatzpotenziale zu sondieren“, so die Forscher. So eignen sich künstliche Antikörper für eine Vielzahl analytischer Verfahren. Durch die Fähigkeit zur selektiven Erkennung können molekular geprägte Polymere beispielsweise zur An- und Abreicherung viraler Substanzen eingesetzt werden. Auch im Kontext von Diagnostik- und Nachweisverfahren sowie bei der Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen kann das „molecular imprinting“ wertvolle Dienste leisten. Nicht zuletzt werde die Corona-Pandemie neue Wege zum Nachweis von SARS-CoV-2 forcieren und auch andere Viren könne man damit aufspüren, betonen die Forscher.

Warum ist die Ulmer Studie wissenschaftlich so bedeutsam?

„Das Forschungsgebiet der molekular geprägten Materialien ist nach wie vor nicht unumstritten, vor allem was die Kontrolle des Prägeprozesses und die Qualität der Rezeptormaterialien betrifft“, sagt Chemiker Boris Mizaikoff. Daher sei es immens wichtig, dieses komplexe Verfahren der Oberflächenmodifikation rational nachvollziehbar und reproduzierbar zu machen. „Ich denke, mit dieser Veröffentlichung ist uns dieser Nachweis eindrucksvoll gelungen“, sind sich die beiden Naturwissenschaftler einig. Die Fachzeitschrift Analytical Chemistry wird von der American Chemical Society herausgegeben und gilt als das höchstrangigste Fachjournal auf dem Gebiet der analytischen Chemie. Die Herausgeber haben dem Ulmer Forschungsprojekt aufgrund der thematischen Aktualität und Bedeutung das Titelblatt der entsprechenden Journal-Ausgabe gewidmet. Gefördert wurde die Studie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Projektes PROTSCAV II.

Literatur:

Manuela Gast, Fanny Wondany, Bastian Raabe, Jens Michaelis, Harald Sobek, and Boris Mizaikoff: Use of Super-Resolution Optical Microscopy To Reveal Direct Virus Binding at Hybrid Core−Shell Matrixes. Analytical Chemistry, 2020, 92, 3050-3057; DOI: pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.analchem.9b04328.


Quelle: idw/Universität Ulm

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