Warum können Umfragen zu Impfquoten danebenliegen?

Ergebnisse einer experimentellen Methodenstudie zu COVID-19
lz
Umfragen können verzerrte Ergebnisse liefern
Nur einem Teil der Stichprobe wurde die direkte Frage nach einer erfolgten Erstimpfung gegen das Corona-Virus gestellt. Fotografik: Jacob Müller
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Eine experimentelle Methodenstudie der TU Chemnitz und der Uni Konstanz deutet auf eine Überschätzung der Impfquote gegen COVID-19 in Bevölkerungsumfragen hin. Gründe der „sozialen Erwünschtheit“ könnten die Umfrageergebnisse verzerren.

Mit dem kälteren Wetter steigen im Herbst 2021 auch die Corona-Fälle in Deutschland erneut deutlich an. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es jedoch einen wichtigen Unterschied – ein Großteil der Bevölkerung hat mittlerweile eine Impfung gegen COVID-19 erhalten. Doch wie hoch die Impfquote in Deutschland tatsächlich ist, wird schon länger intensiv diskutiert. Mehrere Bevölkerungsumfragen zum Impfstatus der jeweils Befragten haben eine deutlich höhere Quote (mindestens einmal) geimpfter Menschen ergeben, als vom offiziellen digitalen Impfquoten-Monitoring des Robert Koch-Instituts (RKI) erfasst wurden. Der schwarze Peter war schnell gefunden: In der öffentlichen Debatte wurde diese Diskrepanz teils auf eine deutliche Untererfassung der tatsächlichen Impfquoten durch Haus- und Betriebsärzte sowie Impfzentren zurückgeführt. Es könnte aber auch eine andere Erklärung geben: Eine aktuelle, noch unveröffentlichte Studie von Forschern der Technischen Universität Chemnitz und der Universität Konstanz zeigt, dass eine umfragebasierte Schätzung der Impfquote Verzerrungen unterliegt. Die Studie erfolgte unter Beteiligung eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der TU Chemnitz.

Anreiz zum Lügen in Umfragen?

„Wir können zeigen, dass Effekte sozialer Erwünschtheit in Umfragestudien dazu führen, dass Befragte eine Impfung gegen COVID-19 auch dann fälschlicherweise angeben, wenn diese gar nicht erfolgt ist“, sagt Prof. Dr. Jochen Mayerl von der Professur Soziologie mit dem Schwerpunkt Empirische Sozialforschung an der TU Chemnitz. „Wenn wir davon ausgehen, dass eine Impfung gegen COVID-19 als normativ erwünscht gilt, und dass die meisten erwachsenen Menschen in Deutschland diese Norm wahrnehmen – gleichgültig, ob sie die Norm persönlich für richtig oder falsch halten – dann entsteht ein Anreiz für Ungeimpfte, mit ihren Angaben von der Wahrheit abzuweichen, um eine Missbilligung durch wen auch immer zu vermeiden“, fügt Dr. Felix Wolter, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für Mikrosoziologie und Mitglied des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz, hinzu.

Verschiedene Umfragemethoden im Vergleich

Dass solche Antwortverzerrungen in Umfragen auftreten, ist bereits eine gesicherte Erkenntnis in der empirischen Sozialforschung. In der aktuellen Studie der Soziologen der TU Chemnitz und der Universität Konstanz wurde nun experimentell nachgewiesen, dass dies auf die Frage nach dem Impfstatus gegen COVID-19 ebenfalls zutrifft. Die Forscher/-innen hatten vom 10. bis 20. September 2021 insgesamt 7.530 in Deutschland lebende Personen im Alter zwischen 18 und 70 Jahren, die über einen Internetzugang verfügen, befragt. Einem Teil der Stichprobe wurde die direkte Frage nach einer erfolgten Erstimpfung gegen das Coronavirus gestellt („Ich bin mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft worden: Ja/Nein“). Einer anderen Gruppe von Befragten wurde dieselbe Frage mittels einer anonymisierenden speziellen Fragetechnik, der sogenannten Item-Count-Technik (ICT), gestellt. Hierbei beantworten die Befragten die Frage zum Impfstatus nicht direkt, sondern zusammen mit weiteren „unverfänglicheren“ Fragen. Die Erhebung erfolgt hier also über aggregierte Daten und somit in anonymisierter Form. Mit statistischen Verfahren wurde danach ein Schätzwert für die Impfquote in dieser Stichprobe ermittelt.

Direkte Frage führt zu Überschätzung der Impfquote

Für die Altersgruppe zwischen 18 und 70 Jahren wurde für den Erhebungszeitraum Mitte September 2021 mittels der direkten Frage eine Impfquote von knapp 85 Prozent ermittelt (mindestens Erstimpfung). „Obwohl dieser Wert nicht mit den offiziellen Daten des RKI vergleichbar ist – Kinder, Jugendliche und Ältere waren nicht Teil der Stichprobe –, deutet er auf eine deutliche Überschätzung der tatsächlichen Impfquote hin“, so Mayerl. Denn wenn man anonymisiert fragt, zeigt sich ein deutlich anderes Bild: „Hier liegt die ermittelte Impfquote mit 75 Prozent etwa zehn Prozentpunkte niedriger im Vergleich zur direkten Frage. Der Unterschied ist statistisch signifikant, denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Unterschiede zwischen direkter Frage und ICT rein zufällig entstanden sind, ist äußerst gering“, ergänzt Wolter. „Damit unterstreicht unsere Untersuchung, dass konventionelle, direkte Befragungen nach dem Impfstatus gegen COVID-19 den tatsächlichen Anteil der geimpften Bevölkerung überschätzen“, sagt Mayerl. Zudem gehen die Soziologen davon aus, dass die Überschätzung bei einer persönlichen oder telefonischen Umfrage durch anwesende Interviewerinnen oder Interviewer vermutlich noch höher gewesen wäre als bei ihrer Online-Studie.

Eine ausführliche Ergebnisdarstellung kann hier abgerufen werden.

Quelle: idw/Technische Universität Chemnitz

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