Vielfältige Betrugsformen

Abrechnungsbetrug in der Pflege
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Abrechnungsbetrug
Die Sozialämter der Kommunen werden durch Betrugsfälle in der ambulanten Pflege massiv geschädigt. Fotolia/Ocskay Bence
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Der Abrechnungsbetrug durch russische Pflegedienste hat nach Informationen von BR Recherche und der Welt am Sonntag bundesweit eine neue Dimension erreicht.

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat  Hinweise auf Strukturen organisierter Kriminalität im Bereich der Pflege. Den Sozialkassen entsteht demnach ein jährlicher Schaden von mindestens einer Milliarde Euro.

Die BKA-Ermittler halten das Problem nach Informationen für so relevant, dass sich die Behörde 2015 ein halbes Jahr lang in Kooperation mit den Polizeibehörden der Länder auf dieses Phänomen konzentriert hat. Das geht aus mehreren internen Dokumenten hervor, die BR Recherche und der "Welt am Sonntag" vorliegen. „Beim Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen durch russische Pflegedienste handelt es sich um ein bundesweites Phänomen, das insbesondere dort auftritt, wo sich durch Sprachgruppen geschlossene Systeme bilden", so das BKA in seinem Abschlussbericht. Darüber hinaus, so die Behörde weiter, „sind in Einzelfällen Informationen bekannt, laut denen die Investition in russische, ambulante Pflegedienste ein Geschäftsfeld russisch-eurasischer organisierter Kriminalität ist."

Das Bundeskriminalamt wollte den als vertraulich eingestuften Bericht selbst nicht kommentieren, teilte zum Thema auf Anfrage aber mit: „Insbesondere den kommunalen Sozialhilfeträgern sowie den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, also letztlich der Allgemeinheit, entstehen beträchtliche finanzielle Schäden. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns gemeinsam mit den Polizeibehörden der Bundesländer mit diesem Phänomen befassen und Straftaten aufklären."

Die Betrugsformen sind nach BKA-Einschätzung vielfältig. So rechnen Pflegedienste zum Beispiel systematisch mit gefälschten Pflege-Protokollen nicht erbrachte Leistungen ab. Teilweise sind Patienten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken in den Betrug verwickelt, beispielsweise, indem sie ihre Pflegebedürftigkeit simulieren. In diesen Fällen teilen sich Patient und Pflegedienst den Erlös. ###more###


Die betrügerischen osteuropäischen Banden haben zudem eine neue Geschäftsmasche. Sie konzentrieren ihre Machenschaften verstärkt auf Intensivpflegepatienten, für deren Betreuung besonders hohe Summen fließen. Damit zweigen sie bis zu 15.000 Euro pro Patient und Monat zu Unrecht aus den Sozialsystemen ab. Die von den gesetzlichen Kassen vermutete Schadenssumme von jährlich mindestens einer Milliarde Euro beruht unter anderem auf Schätzungen der „Deutschen Fachpflege-Gruppe", einem großen Pflegedienst-Betreiber. Danach kostet jeder der etwa 19.000 Intensivpflegepatienten die Kassen rund 22.000 Euro im Monat. Mindestens jeder fünfte ausgezahlte Euro fließe demnach unberechtigterweise vor allem an russische Pflegedienste.

Auch die Sozialämter der Kommunen werden durch Betrugsfälle in der ambulanten Pflege massiv geschädigt. Regionale Schwerpunkte existieren nach Informationen von BR Recherche und "Welt am Sonntag" in Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. In Bayern bearbeitet die Staatsanwaltschaft Augsburg mehrere Verfahren. Auch in Bremen, Duisburg, Stuttgart und Rostock wurden beziehungsweise sind die Ermittlungsbehörden aktiv. In Rostock beträgt der finanzielle Schaden für die Stadt, die über das Sozialamt für Pflegeleistungen eines Dienstes bezahlt hat, mehrere hunderttausend Euro.

Trennung von Pflege- und Krankenversicherung

"Der Gesetzgeber hat Pflegeversicherung und Krankenversicherung künstlich getrennt. Das macht den Milliardenbetrug mit Pflegebedürftigen erst möglich. Für ihr perfides Spiel auf Kosten der Pflegebedürftigen nutzt die organisierte Kriminalität die fehlende Verzahnung. Auch werden Leistungen der Pflegekassen kontrolliert, Leistungen der Krankenkasse aber nicht. So können Kriminelle Behandlungen abrechnen, die nie erbracht wurden, kritisiert der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Er fordert wirksame Kontrollen, um „dieser Mafia das Handwerk zu legen“. Beide Versicherungen müssen endlich gemeinsam in den Blick genommen werden. Dafür habe Bundesgesundheitsminister Gröhe die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen. Außerdem seien Schwerpunktstaatsanwaltschaften notwendig, um den Sumpf von Abrechnungsbetrug auszutrocknen.

Im ARD-Morgenmagazin sagte SPD-Gesundheitsexperte, Karl Lauterbach: „Mit dieser Dimension hat kein Fachmann gerechnet. Wir wussten, dass es solche Fälle gibt. Das ist vorher auch schon untersucht worden. Aber es war immer die Rede von Einzelfällen."

"Die Pflegekassen müssen sehr viel besser kontrollieren, insbesondere unangemeldet." Reine bürokratische Überprüfung der Papiere reiche nicht aus. „Im Bereich der Krankenkassen, die also die Intensivpflege organisieren, da darf überhaupt nicht unangemeldet überprüft werden", beklagte Lauterbach. Das müsse dringend geändert werden. Er hoffe, dass dies noch in der laufenden Legislaturperiode geändert werde. Die Patienten und auch die Angehörigen hätten einen Anspruch darauf.

Quellen:

Pressemitteilung BR Recherche / Welt am Sonntag, 16.04.2016
ARD-Morgenmagazin, 18.04.2016
Pressemitteilung Deutsche Stiftung Patientenschutz, 18.04.2016

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