Überleben nach Lungenembolie

„Staubsauger fürs Herz“
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Marlin Koth (rechts) und Prof. Dr. med. Christoph Starck
Marlin Koth (rechts) und Prof. Dr. med. Christoph Starck © Deutsches Herzzentrum Berlin
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Mithilfe eines neuen Verfahrens kann am DHZB ein junger Mann aus Essen erfolgreich behandelt werden, der nach einer schweren Lungenembolie kaum noch Überlebenschancen hatte.

Marlin Koth kommt im November 1991 mit mehreren schweren Herzfehlern zur Welt.
Kinderherzchirurgen müssen ihm einen sogenannten „Fontankreislauf“ schaffen. Dabei hat das Herz nur eine Kammer. Sie pumpt sauerstoffreiches Blut aus der Lunge in den Körper. Der Lungenkreislauf – also der Weg des sauerstoffarmen venösen Bluts aus dem Körper hin zur Lunge und zurück zum Herzen – muss ohne Herzpumpe auskommen.

Koth kann normal aufwachsen

Marlin Koth kann dennoch weitgehend normal aufwachsen. Bis zu einem Alter von 17 Jahren spielt er sogar Fußball im Verein. Seine körperliche Leistungsfähigkeit lässt zwar nach, aber es geht ihm gut. Am 27. Juli muss Marlin Koth am Blinddarm operiert werden. Der unkomplizierte Eingriff im Uniklinikum Essen verläuft ohne Probleme. Doch drei Tage später bricht Marlin Koth im Bad seines Krankenzimmers bewusstlos zusammen.

Den Ärzten ist sehr schnell klar, wie schlecht es um ihren Patienten steht. Denn Marlin Koth hat eine schwere Lungenembolie erlitten. Dabei verstopft ein Blutpropfen (Thrombus) die Blutgefäße hin zur Lunge. In Marlin Koths Fall wirkt sich die Lungenembolie wegen seines Herzfehlers besonders drastisch aus.

Anschluss an ECMO

Die Mediziner am Essener Uniklinikum schließen Marlin Koth sofort an eine ECMO an, eine künstliche Lunge. Die unmittelbare Lebensgefahr ist damit zwar gebannt. Doch die Ärzte wissen auch, dass sie nicht mehr für ihren Patienten tun können und nehmen Kontakt mit dem Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB) auf.

Noch am selben Tag wird Marlin Koth – weiterhin angeschlossen an die ECMO – mit dem Hubschrauber in die Hauptstadt geflogen. Im DHZB erwartet ihn der leitende Oberarzt der Herzchirurgie, Professor Christoph Starck, mit einem Team aus Intensivmedizinern und Spezialisten für Angeborene Herzfehler.

Risiko für OP zu hoch

Zunächst versuchen die Ärzte, die Thromben mit Medikamenten zumindest zu verkleinern. Der Versuch scheitert: Der Thrombus zerfällt zwar in mehrere Teile, blockiert aber weiterhin die Blutgefäße. Bei anderen Patienten bestünde nun die Möglichkeit, die Gerinnsel operativ zu entfernen. Doch das DHZB-Team muss auch diese Option verwerfen: „Angesichts des Zustands unseres Patienten und seiner vielen Voroperationen im Kindesalter wäre das Risiko definitiv zu hoch gewesen“, erläutert Herzchirurg Christoph Starck.

Damit bleibt nur noch eine Möglichkeit, den jungen Mann zu retten: Das sogenannte „Angiovac“-System – eine Art „Staubsauger fürs Herz“.

Thromben werden abgesaugt

Dabei wird über einen wenige Zentimeter großen Schnitt am Hals oder in der Leiste ein mit einer Absaugpumpe verbundener Schlauch über die Blutgefäße unter Röntgen- und Ultraschallkontrolle bis dicht an die Gerinnsel herangeführt. Das Ende des Schlauchs wird dann zu einem Trichter aufgespannt und die Pumpe wird aktiviert. So werden die Thromben abgesaugt und ausgefiltert, das Blut wird wieder dem Körperkreislauf zugeführt.

 

Das Deutsche Herzzentrum Berlin hat das System aus den USA als eine der ersten Kliniken in Deutschland eingesetzt und verfügt inzwischen mit fast 100 Eingriffen auch europaweit über die meiste Erfahrung mit dem neuen Verfahren. Doch auch diese Variante kommt für Marlin Koth zunächst nicht in Frage. Denn der Thrombus liegt in einem Abschnitt einer Lungenarterie, den die Ärzte mit dem Saugtrichter nicht erreichen können.

Blutgerinnsel wandern

Den Medizinern bleibt nun nur die Hoffnung, dass sich die Lage der Gerinnsel noch ändern könnte. Immer wieder wird Marlin Koth im Computertomografen untersucht. Und endlich tritt ein, worauf der Patient, seine Eltern und die Ärzte kaum zu hoffen gewagt hatten: Die Blutgerinnsel sind gewandert. Der Eingriff erscheint nun möglich.

Am Morgen des 7. August wird Marlin Koth in OP 8 gebracht. Der Eingriff mag für den Laien zwar simpel klingen. Doch Christoph Starck und sein Kollege, Herzchirurg Dr. Axel Unbehaun, wissen, dass angesichts Marlin Koths schlechten Zustands und seinen Vor-Operationen jederzeit Komplikationen auftreten können. Und dann bleibt nur noch eine Notoperation am offenen Herzen. Alle im OP sind darauf vorbereitet.

Katheter wird eingesetzt

Über einen Einschnitt am Hals führen die Chirurgen den Saugschlauch so dicht wie möglich an den Thrombus heran und aktivieren die Saugfunktion. Doch zunächst geschieht nichts. Das Blutgerinnsel sitzt zu fest.

Über einen weiteren Katheter versucht Christoph Starck deshalb, den Thrombus mit feinen Drahtschlingen zu greifen. Als auch dies erfolglos bleibt, wendet der Operateur einen außergewöhnlichen Trick an: Er drückt einen dünnen Katheter mit einem zusammengefalteten Ballon an der Spitze vorsichtig am Thrombus vorbei. Hinter dem Blutgerinnsel wird der Ballon aufgepumpt. Nun können die Chirurgen den Blutpfropfen Millimeter für Millimeter an den Saugtrichter heranziehen.

Thrombus darf nicht in ECMO

Sie wissen, dass diese Phase der OP noch einmal besonders heikel ist. Denn nicht weit vom „Herz-Sauger“ liegt die Kanüle, die das Blut zur künstlichen Lunge, der ECMO, hin absaugt. Geriete der Thrombus in diese Maschine, hätte das für Marlin Koth womöglich fatale Folgen. Die Chirurgen fahren die Leistung der künstlichen Lunge also zurück, soweit es geht, ohne ihren Patienten zu gefährden. Gleichzeitig maximieren sie die Leistung des „Angiovac“. Und dann geht alles sehr schnell. Das System saugt mehrere, zusammen rund vier Zentimeter dicke Blutgerinnsel aus Marlin Koths Lungenarterie ab.

Gefäß ist frei

Das Gefäß ist damit wieder frei. Die Lunge wird wieder durchblutet. Eine knappe Woche später wird Marlin Koth zurückverlegt ins Essener Uniklinikum, wo er noch einige Zeit zur Überwachung bleiben muss.

Inzwischen ist Marlin Koth wieder zu Hause. Er hofft nun, seine Umschulung zum Automobilkaufmann wieder aufnehmen zu können. Und darauf, mal wieder nach Berlin zu reisen – diesmal aber unter weniger dramatischen Umständen.

Quelle: Deutsches Herzzentrum/idw

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