Überdiagnostik treibt Kosten in die Höhe

Gesundheitsuntersuchung bei Asylsuchenden
mg
Flüchtlinge
Viele unnötige Untersuchungen sorgen für hohe Kosten in der Untersuchung der Asylsuchenden. © Fotolia
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Eine Studie hat die diagnostischen Kosten für das Jahr 2015 in Erstaufnahmeeinrichtungen ermittelt. Heraus kam, dass es ein erhebliches Potenzial zur Einsparung gibt. Aufgrund fehlender einheitlicher Regelungen gibt es in manchen Bundesländern ein zu breites Behandlungsspektrum.

In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden Asylsuchende zunächst auf Infektionskrankheiten untersucht, um diese früh zu erkennen und eine Ausbreitung in den Sammelunterkünften zu vermeiden. Dabei ist aber nur eine Röntgenuntersuchung der Lunge bundesweit geregelt, um eine ansteckende Tuberkulose auszuschließen. Die restliche verpflichtende Diagnostik wird in den Bundesländern separat bestimmt. Dadurch werden Asylsuchende zum Teil pauschal auf weitere Infektionskrankheiten untersucht – ohne eine evidenzbasierte Grundlage. Die Folge: hohe diagnostische Kosten bei nur wenigen tatsächlich erkrankten Personen. Dies zeigt eine Studie von Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Heidelberg und der Universität Bielefeld, aktuell veröffentlicht in der Fachzeitschrift Eurosurveillance.

„Unsere Schätzung der Gesamtkosten für diagnostische Verfahren im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung in Deutschland im Jahr 2015 beläuft sich auf 10,3 Millionen Euro - darin sind die Kosten des medizinischen Personals, weiterer Folgediagnostik oder etwaiger Doppeluntersuchungen nicht enthalten“, sagt Dr. Kayvan Bozorgmehr, Autor der Publikation und Leiter der Forschergruppe RESPOND an der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg. Die Forscher errechneten ein Einsparpotenzial von insgesamt 3,1 Millionen Euro im Jahr 2015.

In einigen Bundesländern wurden viele Personen mit unterschiedlicher Herkunft auf Erkrankungen wie Salmonellen, Syphilis oder HIV getestet – dabei waren nur wenige von ihnen erkrankt. Daher sind die Kosten pro Patient sehr hoch. Die Forscher berechneten Diagnosekosten von ca. 80.200 Euro für einen Fall von Shigellose, einer seltenen Durchfallerkrankung in den Herkunftsländern der Asylsuchenden von 2015. Insgesamt führten die Wissenschaftler epidemiologische Daten mit den Regelungen der Länder, Kosten entsprechender diagnostischer Tests und der Anzahl der Asylsuchenden je Bundesland zusammen. Danach wurden von den 441.899 Erstantragstellern im Jahr 2015 88 Prozent auf Tuberkulose, 23 Prozent auf pathogene Darmkeime wie Salmonellen und Shigellen, 17 Prozent auf Hepatitis B, 13 Prozent auf Syphilis und 11 Prozent auf HIV verpflichtend getestet.

Vor allem Bayern, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen testen auf ein breites Spektrum meist seltener Infektionserkrankungen. Dort betrugen die Ausgaben durchschnittlich das 2,8-fache der Ausgaben der Bundesländer, die gemäß der bundesweiten Mindestvorgabe lediglich auf Tuberkulose untersuchten. Doch seit 2015 haben schon einige Bundesländer ihre Vorgaben geändert und das Untersuchungsspektrum reduziert. Dieses Vorgehen wird von der aktuellen Studie unterstützt: „Wir fordern bundeseinheitliche Regelungen, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen und das individuelle und herkunftslandspezifische Erkrankungsrisiko stärker berücksichtigen“, so Bozorgmehr.

Ethische Bedenken

Denn diese Untersuchungen sind nicht nur zu teuer, sie sind auch aus einer ethischen Perspektive inakzeptabel. „Das gilt sowohl für den Einzelnen, da die Untersuchungen verpflichtend sind, als auch im Hinblick auf die verfügbaren Ressourcen des Gesundheitssystems“, sagt Katharina Wahedi, Ko-Autorin der Studie. Ressourcen werden hierdurch ineffizient genutzt und Asylsuchende haben nur einen eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung. Denn durch das Asylbewerberleistungsgesetz sollen die Gesundheitsausgaben geringgehalten und keine Anreize geboten werden, in Deutschland Asyl zu suchen.

Den Asylsuchenden werden möglicherweise medizinisch notwendige und sinnvolle Maßnahmen vorenthalten, während sich einige Bundesländer gesetzlich verordnete, unnötige Untersuchungen auf Infektionskrankheiten leisten. Dabei könnten die Ressourcen in anderen Bereichen sinnvoller zum Einsatz kommen. „Mit den Mitteln, die in die Überdiagnostik flossen, hätten im Jahr 2015 die Erstaufnahmestellen der betreffenden fünf Bundesländer mit einer halben Psychologenstelle pro 1.000 Asylsuchenden ausgestattet werden können“, so Bozorgmehr.

Literatur:

Bozorgmehr K, Wahedi K, Noest S, Szecsenyi J, Razum O.: Infectious disease screening in asylum-seekers: range, coverage and economic evaluation in Germany, 2015. Euro Surveill. 2017. DOI: 10.2807/1560-7917.ES.2017.22.40.16-00677.

Wahedi K, Noest S, Bozorgmehr K.: Die Gesundheitsuntersuchung von Asylsuchenden: Eine bundesweite Analyse der Regelungen in Deutschland. Bundesgesundheitsbl (2017) 60: 108.DOI: 10.1007/s00103-016-2489-2.

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