Sehvermögen im Kindesalter bestimmt Assoziationen zwischen Formen und Tönen

Neue Studie
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Menschen ordnen bestimmte Formen automatisch bestimmten Tönen zu.
Menschen ordnen bestimmte Formen automatisch bestimmten Tönen zu. Nadine Esche
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Unsere Sinne sind ein echtes Phänomen! Wie arbeiten sie zusammen, wenn es darum geht, unsere Wahrnehmung der Welt zu ermöglichen? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Universität Hamburg haben nun eine Studie veröffentlicht, die vor allem die Kindheit als großen Faktor für die Wahrnehmung von Formen und Lauten beschreibt.

Egal welche Kultur oder welche Ethnie – fast alle Menschen ordnen bestimmte Formen automatisch bestimmten Tönen zu. Wörter, die eine hohe Tonfrequenz haben (z.B. „Kiki“) werden mit spitzen und eckigen Formen assoziiert, Wörter mit einer tiefen Frequenz (z.B. „Bouba“) vor allem mit glatten und runden Formen. Diese multisensorischen Assoziationen wurden auch bei Kulturkreisen beobachtet, die keine Schrift benutzen. Doch sind diese Verknüpfungen angeboren oder werden sie im Laufe der Zeit erlernt? Und welche Rolle spielt dabei die Fähigkeit, im Kindesalter Formen sehen zu können?

„Sensible Phasen“ der Entwicklung

Das Team des Arbeitsbereichs „Biologische Psychologie und Neuropsychologie“ von der Uni Hamburg unter der Leitung von Prof. Dr. Brigitte Röder hat diese Fragen in einer neuen Studie untersucht. Dahinter steht die Frage nach sogenannten „sensiblen Phasen“ der Entwicklung. In diesen Zeiträumen der Entwicklung ist das Gehirn besonders lernfähig. Nach ihrem Ablauf können manche Fähigkeiten nur noch sehr schwer oder gar nicht mehr erworben werden. Bezogen auf die aktuelle Studie bedeutete das, dass Menschen, die in der frühen Entwicklung blind waren und spät Sehkraft zurückerlangten, keine systematischen Assoziationen zwischen Formen und Tönen haben.

Das Hamburger Team untersuchte dafür Menschen, die aufgrund eines dichten Grauen Stars (Katarakt) in beiden Augen von Geburt an blind waren und erst spät operiert wurden. Außerdem nahmen Menschen teil, die vor dem 12. Lebensjahr Grauen Star bekommen hatten und für eine lange Zeit nicht oder nur sehr eingeschränkt sehen konnten, bevor sie ebenfalls operiert wurden. Ferner wurden blinde Menschen einbezogen, die entweder von Geburt an blind waren oder erst nach dem 12. Lebensjahr vollständig erblindet waren. Als Vergleichsgruppe dienten Menschen mit typischer Sehkraft.

Die Ergebnisse der Studie

Das Ergebnis: Probandinnen und Probanden, die von Geburt an blind waren, wiesen im Gegensatz zu den typisch sehenden Personen keine systematischen Form-Ton-Assoziationen auf. Auch Personen, die nach der Geburt oder in der frühen Kindheit eine Phase mit Blindheit oder starker Sehbehinderung durchlebt hatten, zeigten viele Jahre nach der Wiederherstellung des Augenlichts keine dieser Verbindungen. Dies spricht für eine ausgedehnte sensible Phase beim Menschen für den Erwerb typischer multisensorischer Funktionen.

Fähigkeiten gehen nicht verloren

Menschen, die für mindestens die ersten 12 Jahre normal gesehen hatten, bevor sie vollständig erblindeten, zeigten außerdem typische Assoziationen für ertastete Formen und Laute. Dieses Ergebnis zeigt, dass Fähigkeiten, die während dieser Zeiten hoher Lernfähigkeit erworben werden, auch dann nicht verloren gehen, wenn sich die sensorische Wahrnehmung später verändert.

„Die Studie leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis vom Zusammenspiel der verschiedenen Sinne und der besonderen Bedeutung der frühkindlichen Erfahrungen für unsere Hirnentwicklung“, so Suddha Sourav, Doktorand an der Universität Hamburg und Erstautor der Studie.

Die Ergebnisse könnten Ausgangspunkt sein für die Frage, wie unsere Sinneseindrücke die Wortbildung und damit unsere Sprache beeinflussen. Zudem möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genauer untersuchen, welche Gehirnmechanismen das Lernen nach Ende einer sensiblen Phase erschweren oder sogar verhindern. Gleichzeitig möchten sie erforschen, welche Hirnfunktionen, die nicht visuell sind, angesichts einer Blindheitsphase eine effizientere Verarbeitung aufweisen.

Literatur:

Sourav, S., Kekunnaya, R., Shareef, I., Banerjee, S., Bottari, D., & Röder, B. (2019): A Protracted Sensitive Period Regulates the Development of Cross-Modal Sound–Shape Associations in Humans. Psychological science, DOI: 10.1177/0956797619866625.

Quelle: Uni Hamburg

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