Rekonstruktion des Stoffwechsels von Bakterien

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Mit der neu entwickelten Software können die Forscher anhand von vorhandenen Daten die metabolischen Netzwerke von Bakterien vorhersagen. Kiel Life Science - Uni Kiel
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Forschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben eine Computersoftware entwickelt, mit deren Hilfe sie den Stoffwechsel der im Mikrobiom vorhandenen Bakterien schnell und genau berechnen können.

Menschen werden von einer unvorstellbar großen Vielfalt von Mikroorganismen besiedelt. Das natürliche Mikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen, die in und auf einem Körper leben, ist von zentraler Bedeutung für den Gesamtorganismus: Es unterstützt beispielsweise bei der Nahrungsverwertung und ist wichtig zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts im Darm. Störungen des Mikrobioms können bestimmte Erkrankungen mitbeeinflussen, zum Beispiel chronisch-entzündliche Darmerkrankungen oder Diabetes. Daher wird die Erforschung der hochkomplexen Interaktionen zwischen Wirtsorganismus und den Mikroorganismen sowie der Mikroorganismen untereinander immer wichtiger.

Forschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben nun eine Computersoftware entwickelt, mit deren Hilfe sie den Stoffwechsel der im Mikrobiom vorhandenen Bakterien schnell und genau berechnen können. Die Entwicklung und Funktionsweise der Software „gapseq“ haben Dr. Johannes Zimmermann, Prof. Christoph Kaleta und Prof. Silvio Waschina vor kurzem in der Fachzeitschrift „Genome Biology“ veröffentlicht.

Komplexe Stoffwechselnetzwerke für jedes einzelne Bakterium

Gapseq nutzt bereits vorhandene Informationen aus biochemischen Datenbanken. In den Datenbanken steht, welche Enzyme die Umwandlung von Stoffen ermöglichen. Diese Informationen verknüpften die Forscher mit den genetischen Informationen der Bakterien, die aus Sequenzierungen gewonnen werden. „Wir haben also die genetischen Informationen der Bakterien, wissen aber gar nicht so genau, was sie in ihrer natürlichen Umgebung, beispielsweise dem Darm, machen. Mit der gapseq-Software bestimmen wir auf Grundlage der Geninformationen, welche Stoffwechselprozesse die Bakterien durchführen können und erstellen daraus komplexe Stoffwechselnetzwerke für jedes einzelne Bakterium“, erklärt Silvio Waschina, Professor für Nutriinformatik der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der CAU und Mitglied im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI).

Jedes Netzwerk verbindet die Stoffe miteinander, die vom jeweiligen Bakterium ineinander umgewandelt werden. Diese Stoffwechselnetzwerke der einzelnen Bakterien interagieren wiederum auch untereinander. Die Software berechnet dieses komplexe Zusammenspiel und simuliert so, wie die Bakteriengemeinschaft in Gänze arbeitet. „So können wir beispielsweise auch vorhersagen, wie das Darmmikrobiom auf bestimmte Ernährungsweisen reagiert oder wie es bestimmte Wirkstoffe aus Medikamenten möglicherweise verstoffwechselt“, so Waschina.

Entwicklung von Nahrungsmittelinterventionen

„Die bisherigen Methoden funktionieren nicht so gut und nutzen nicht alle verfügbaren Daten, um die metabolischen Netzwerke der Bakterien vorherzusagen“, erklärt Erstautor Dr. Johannes Zimmermann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für experimentelle Medizin der CAU und Mitglied im Exzellenzcluster PMI. „Um die Wechselwirkungen im Mikrobiom identifizieren zu können, ist es wichtig, dass die Vorhersagen möglichst genau sind. Hier ist gapseq deutlich besser als bisherige Verfahren, das konnten wir in einem umfangreichen Vergleich nachweisen“, so Zimmermann weiter.

Die Wissenschaftler konnten gapseq bereits in konkreten Forschungsprojekten anwenden. Mit weiteren Mitgliedern des Exzellenzclusters PMI zeigten sie, wie der Stoffwechsel des Darmmikrobioms mit dem Ansprechen auf eine Antikörpertherapie bei chronischen Darmentzündungen (CED) zusammenhängt. Antikörpertherapien mit sogenannten Biologika wirken nämlich nur bei einem Teil der CED-Patientinnen und -Patienten. „Wir konnten zeigen, dass Patientinnen und Patienten, bei denen die Biologikatherapie die Symptome erfolgreich bekämpft, schon vor Therapiebeginn einen völlig anderen Stoffaustausch im Mikrobiom aufweisen als Patientinnen und Patienten, bei denen die Therapie nicht wirkt“, erklärt Prof. Christoph Kaleta, Leiter der Arbeitsgruppe Medizinische Systembiologie am Institut für experimentelle Medizin, CAU, und ebenfalls Mitglied im Exzellenzcluster PMI sowie dem Sonderforschungsbereich „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“. „Aufbauend auf diesen Ergebnissen könnte man Nahrungsmittelinterventionen so entwickeln, dass sie den Stoffwechsel im Darmmikrobiom gezielt beeinflussen und so möglicherweise das Ansprechen auf die Therapie verbessern“, so Kaleta, der gapseq mitentwickelte, weiter.

Besiedlung des Darms von Frühgeborenen

Momentan nutzen die Forscher gapseq in Kooperation mit der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Lübeck, um zu verstehen, wie die Besiedlung des Darms von Frühgeborenen erfolgt und welche Funktionen des Stoffwechsels dabei wichtig sind. Für die Entwicklung der Frühgeborenen ist die Besiedlung des Darms mit Mikroorganismen sehr wichtig, da es sonst zu Infektionen bis hin zu einer Sepsis kommen kann. Daher ist es wichtig zu verstehen, was im Darm der Frühgeborenen passiert und wie die Besiedlung durch eine gezielte Ernährungsweise oder mit Probiotika beeinflusst werden könnte.

Dafür sammelt das Team in Kooperation mit Prof. Jan Rupp und Dr. Julia Pagel von der Klinik für Infektiologie und Mikrobiologie des UKSH, Campus Lübeck, und Prof. Christoph Härtel von Universitätsklinikum Würzburg Stuhlproben aus den Windeln der Frühgeborenen. Aus den Stuhlproben isolieren sie die genetischen Informationen der vorhandenen Bakterien. Mit diesen Daten kann gapseq den Stoffwechsel des Darmmikrobioms der Frühgeborenen rekonstruieren.

Das Programm ist eine Open-Source-Software

Das Programm gagseq kann von interessierten Forschungsteam weltweit genutzt werden und ist eine Open-Source-Software. „Wir hatten schon viele Anfragen von Gruppen weltweit mit ganz unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten. Da geht es um Biogasanlagen, Bodenbakterien oder auch Symbiosen von Bakterien mit Algen“, erklärt Zimmermann. „Das ist eine schöne Erfahrung, dass unser System die Forschung in so unterschiedlichen Bereichen voranbringt“, so Zimmermann weiter.

Originalpublikation:

Johannes Zimmermann, Christoph Kaleta, Silvio Waschina: gapseq: informed prediction of bacterial metabolic pathways and reconstruction of accurate metabolic models, Genome Biology (2021). DOI: doi.org/10.1186/s13059-021-02295-1

 

Quelle: idw/Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen,
16.03.2021

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