Präzisionshandling in der Cryologistik

Richtiger Umgang mit kostbarem Zellmaterial für Forschung und Industrie – Interview mit Engelbert Büning
Das Interview führten Mirjam Bauer und Michael Reiter.
Präzisionshandling in der Cryologistik
Er hat sich über Jahrzehnte des unternehmerischen Engagements zum Experten für Cryologistik in Biobanking und Präzisionsmedizin entwickelt: Engelbert Büning. © Michael Reiter
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Das ist sicher keine klassische Karriere für einen Kühlkettenexperten: Engelbert Büning absolvierte nach dem Abitur eine Lehre als Bankkaufmann und begann sein Berufsleben nach dem BWL- und Geschichtsstudium in einer der ältesten Reedereien Hamburgs, der Fa. H.M. Gehrkens.

1987 übernahm Engelbert Büning unter eigener Flagge zusammen mit der Reederei Leonhardt & Blumberg einen Eisbrecher, die MV Icebird, die er zehn Jahre für die Unterstützung der Logistik der Australian Antarctic Division in Tasmania zur Bedienung der Stationen in der Antarktis einsetzte.Durch die Zusammenarbeit mit den Forscherteams und seinem Interesse an deren Arbeit erhielt der Unternehmer Engelbert Büning fundierte Hinweise zu Forschungen an Zellprozessen unter Extremtemperaturen im ewigen Eis. Damit verstand er schnell die Mängel der damals in der Cryologistik zum Einsatz kommenden Technik. In der Konsequenz entschloss er sich für ein erstes Investment zur Entwicklung einer modernen Lagertechnik, an dessen Ende die geschlossene Kühlkette stehen sollte. Hauptziel war dabei die Verhinderung von Vereisung und der Erhalt der Integrität eingelagerter Proben während der gesamten Lebensdauer. Über die Entwicklung von Teillösungen und die Beteiligung an der Herstellung eines ersten Halbautomaten für die Einlagerung begann schließlich mit der Firma Cryobank24 in Hamburg der Einstieg in das Fullservice-Supplier-Geschäft unter Anwendung der besten am Markt erhältlichen Vollautomaten großer und spezialisierter Hersteller. Heute kommt nur diese langjährig erprobte Technik für die Kunden zum Einsatz. Wir besuchten den Unternehmer in Hamburg und sprachen mit ihm über sein Engagement auf diesem spannenden Gebiet.

Herr Büning, was waren Ihre Anfänge in der Cryologistik?

1987 übernahm ich mit meinem Partner Leonhardt das Forschungsschiff Icebird. Dort arbeiteten Forscher unter anderem an Zellprozessen im ewigen Eis. Sie vermittelten mir die Hauptprobleme bei der Lagerung und dem Processing von Zellmaterial und medizinischer Proben, insbesondere die Vereisung und die Folgen für das Material bei wechselnden Temperaturen. Als Pilot war mir das Vereisungsthema bereits vertraut.

So gründete ich die Firma „Medizinische Apparatebau AG“ (www.mabag.biz und www.clst.at) als Tochter der heutigen www.cryobank24.com, die anfangs IMTI GmbH hieß. Wir bauten das erste Kühlgerät mit einem Trommellager, bei dem die Klappe oberhalb des „Kältesees“ lag – da wir zunächst annahmen, die Kälte könne so nicht wie beim Eisschrank herausfallen. Die explosive Wirkung durch Ausdehnung der sich aufwärmenden Kaltluft aus dem Innern des Gerätes bei Berührung mit der warmen, sich zusammenziehenden Außenluft im Bereich der geöffneten Klappe hatten wir dabei noch nicht berücksichtigt. Wir vernachlässigten anfangs auch, dass bei dieser Vermischung die Luftfeuchtigkeit der im inneren Bereich implodierten Außenluft ein feuchteres Luftgemisch entstehen ließ, das nach dem Schließen der Klappe zu einer Art Schneefall oder Eisbeschichtung der technischen Teile und Proben führte. Die Abkühlung des sich im Inneren zusammenziehenden Luftgemisches und das Ansaugen weiterer feuchter Außenluft an allen Dichtungen vorbei verstärkten diesen Effekt. So erzeugte jede Öffnung weitere Vereisungen innen und an den Klappenrändern.

Unsere erste Testmaschine, die in der Endoklinik Hamburg für deren Blutplasma stand, war schon gut, aber auf lange Frist nicht eisfrei. Ferner waren alle Plasmaproben einer Kassette bei Herausnahme einer Probe nicht nur der Vereisung, sondern auch der Außenlufttemperatur ausgesetzt, weil das Personal eine bestimmte Probe oft eine Zeitlang suchen musste. Bei einer Größe von 450 Gramm Plasma schien es nicht so tragisch zu sein, doch welche Wirkung haben diese Prozesse bei einer 1,2 Milligramm leichten Zell- beziehungsweise Biomaterialprobe? Da die Forschung damals keine Unterlagen dazu liefern konnte, musste man damit erst einmal leben.

Welche Auswirkungen hat das auf die Probenintegrität?

Die Forschung hat inzwischen nachgewiesen, dass solche Temperaturschocks nicht sein dürfen, nicht einmal im Minusbereich von -40 auf -20 Grad Celsius. Nicht nur die Vereisung, sondern jede unkontrollierte „Aufwärmung“ schadet dem Zellmaterial. Die Erwärmungen finden bis in die Tiefe eines geöffneten Lagers statt – abhängig von der Dauer der Öffnung und der Entfernung der Probe von der Tür. Ein Test in meiner eigenen Tiefkühltruhe mit kleinen Thermometern ergab binnen einer Minute nach Herausnahme eine Erhöhung der Temperatur von -10 auf +1 Grad. Es sollte deshalb in der Prozesskette jeglicher Kontakt mit der Außenluft, von der Einlieferung bis zur Auslieferung, vermieden werden. Das gilt für jede Probe – inklusive der Suche einer Einzelprobe aus einer Kassette oder einem Rack. Aus diesem Grund sehe ich die einzig sinnvolle Lösung in der Vollautomatisierung einschließlich einer Be- und Entladung der Transportgefäße, wie beispielsweise Liconics (www.liconics.com) sie anbietet. Da die medizinische Probenentnahme und die spätere Verarbeitung nicht am Lagerort stattfinden, müsste die perfekte Lagerung ebenso den Transport einschließen – doch diese Herausforderung hat bisher noch niemand gelöst.

Welche Rückschlüsse lassen sich auf die Präzisionsmedizin ziehen?

Die sensible Methodik beispielsweise für die DNA-Sequenzierung benötigt Proben, deren Lagerintegrität von der Gewinnung über den ersten Tag der Einlagerung bis zur Verwendung in der Forschung nachweisbar ist. Die Materialproben müssen über die gesamte Lagerzeit kontrolliert, konstant temperiert und ohne Nebeneinflüsse gelagert werden. Dabei wird alles protokolliert, damit Fehler vermieden werden, nach dem Prinzip „Garbage in = Garbage out“. Zu den Protagonisten dieses Ansatzes zählen in den USA die Nobelpreisträgerin Prof. Dr. Elizabeth Blackburn vom Salk Institute in San Diego (www.salk.edu) und in Europa Prof. Dr. Berthold Huppertz, der die Biobank der Medizinischen Universität Graz leitet (www.biobank.medunigraz.at). Eine Nichterfüllung der Anforderungen, die laut Experten den heute üblichen Normalfall darstellt, führt künftig zur Abwertung der Probenangebote der jeweiligen Biobank.

Warum tut sich die Praxis mit dieser Erkenntnis so schwer?

Da alle bereits in Kühlgeräte investiert haben und Automaten sehr teuer sind, wird diese Erkenntnis gern von den Marktbeteiligten übersehen – egal, ob es sich dabei um Schrankverkäufer oder Betreiber handelt. Der Aspekt der Aufwärmung hatte in der Vergangenheit keinen Stellenwert; der Fokus lag auf der als notwendiges Übel verstandenen Beseitigung der typischen Vereisung an Technik und Lagergut, mechanisch oder durch „Abtauzyklen“. Eisschränke und Truhen mit begrenzter Lebensdauer beherrschen deshalb noch heute den Markt. Folgekosten bei Personal und Energie sowie die Wirkungen auf die späteren Probenbewertungen blieben bisher unberücksichtigt und wurden allein aus falsch gerechnetem Anschaffungskostenvergleich zur Normalität. Der langfristige Kostenvorteil – unabhängig von der Sicherung der Probenintegrität –, den eine vollautomatische Lagertechnik bietet, ist nur durch eine langfristige Vollkostenrechnung über die durchschnittliche Lebensdauer einer Probe nachweisbar. Diese wird in der Regel gar nicht durchgeführt.

Auf der Strecke bleiben die Integrität der Probe und deren Nutzung für die Zukunft etwa unter dem Schlüsselaspekt der Reproduzierbarkeit. Die sinkende Bewertung dieser Proben in der Zukunft macht diesen Mangel transparent. Das Zellmaterial, die Gewebeprobe, ist aber das kostbarste Gut; es darf keinen vermeidbaren Risiken in der Kette ausgesetzt sein.

Entnommen aus MTA Dialog 03/2018

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