Parasiten in fossilen Fliegenpuppen nachgewiesen

Ultraschnelle Röntgenbildgebung
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Synchrotron-Röntgen-Mikrotomographie
Die Synchrotron-Röntgen-Mikrotomographie macht ihn möglich: den Blick ins Innere Millionen Jahre alter Fliegenpuppen. Georg Oleschinski, Universität Bonn (Foto) und Thomas van de Kamp, KIT (Rendering); Nature Communications
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Parasitisch lebende Wespen gab es schon vor vielen Millionen Jahren: In einem am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) koordinierten Projekt haben Forscher verschiedener Fachrichtungen erstmals definitiv fossile Parasiten in ihren Wirten nachgewiesen.

Die Wissenschaftler untersuchten Fliegenpuppen aus alten Sammlungen mit ultraschneller Röntgenbildgebung. Dabei belegten sie 55 Parasitierungsereignisse und beschrieben vier bisher unbekannte ausgestorbene Wespenarten. Die Ergebnisse des Projekts liefern wichtige Erkenntnisse zur Evolution des Parasitismus, der weit verbreitet ist und Ökosysteme wesentlich prägt. Heute gelten rund 50 Prozent aller Tierarten als Schmarotzer. Der Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und Parasitismus zeigt sich besonders deutlich bei der Insektenordnung der Hautflügler (Hymenoptera), zu denen die Wespen gehören. In dem am KIT koordinierten Projekt identifizierten die Forscher mit den neu beschriebenen ausgestorbenen Wespenarten vier verschiedene Endoparasiten – Schmarotzer, die sich im Innern ihres Wirts entwickeln – aus dem Paläogen, das den Zeitraum von vor rund 66 Millionen Jahren bis vor rund 23 Millionen Jahren umfasst.

Neueste Technologie verwendet

Jede der vier parasitischen Wespenarten verfolgte ihre eigene Strategie zur Anpassung an den Wirt. Die von den vieren am häufigsten beobachtete Art nannten die Wissenschaftler „Xenomorphia resurrecta“. Der Gattungsname „Xenomorphia“ erinnert an das als Xenomorph bekannte Wesen aus der Science-Fiction-Filmreihe „Alien“, das sich ebenfalls endoparasitisch entwickelt. Der Artname „resurrecta“ bezieht sich auf die „digitale Wiederauferstehung“ der Art, wie Projektkoordinator Dr. Thomas van de Kamp vom Laboratorium für Applikationen der Synchrotronstrahlung (LAS) des KIT erklärt. „Unser Projekt beweist, dass es sich lohnt, alte Sammlungen mit modernster Technik neu zu erforschen.“

Die untersuchten Fossilien, mehr als 1 500 mineralisierte Fliegenpuppen, gehören zu Sammlungen am Naturhistorischen Museum Basel und am Naturhistoriska riksmuseet Stockholm. Gefunden wurden sie im späten 19. Jahrhundert in Phosphoritminen der Region Quercy in Frankreich. 1944 beschrieb der Schweizer Entomologe Eduard Handschin die Fossilien ausgiebig und wies auf den besonderen Wert der äußerlich unscheinbaren, nur rund drei Millimeter langen Stücke hin. Dennoch gerieten diese für über 70 Jahre in Vergessenheit. Handschin hatte seinerzeit in einem Dünnschliff aus einer schätzungsweise 34 bis 40 Millionen Jahre alten Fliegenpuppe den Umriss einer parasitischen Wespe erahnt, nachweisen ließ sich diese allerdings nicht. Das bildete den Anlass für das aktuelle Projekt, dessen Ergebnisse unter dem Titel „Parasitoid biology preserved in mineralized fossils“ veröffentlicht sind.

Proben mit Synchrotron-Röntgen-Mikrotomographie untersucht

Ultraschnelle Röntgenbildgebung, am KIT maßgeblich entwickelt und verfeinert, ermöglichte einen neuen Zugang zu den Fossilien: Die Forscher untersuchten die Proben mit Synchrotron-Röntgen-Mikrotomographie. Bei lichtoptisch dichten Proben lassen sich interne Strukturen nur mit Röntgenstrahlung nichtinvasiv und dreidimensional beobachten. Synchrotronstrahlungsquellen, ein Typ von Teilchenbeschleunigern, liefern elektromagnetische Strahlung auf einem viel breiteren Spektrum und in viel höherer Intensität als konventionelle Quellen. Die Messungen für das Projekt liefen an der Hochgeschwindigkeits-Tomographie-Station UFO am Synchrotron des KIT. „Der Probendurchsatz ist hoch; Aufnahme und Auswertung der Daten sind teilautomatisiert, wodurch solche Messungen überhaupt erst machbar werden“, berichtet van de Kamp. Bereits vor zwei Jahren durchleuchtete die Arbeitsgruppe fossile Käfer von der Fundstelle Quercy und machte ihre innere Anatomie sichtbar. An der Station UFO werden aber nicht nur Fossilien gescannt. Der Aufbau eignet sich auch für andere Projekte, bei denen große Stückzahlen mit Röntgenstrahlung zu untersuchen sind. Daher ist UFO für die verschiedensten Fachgebiete interessant, unter anderem für die Materialforschung.

Aufwendige digitale Rekonstruktion

Die parasitischen Wespen aus dem Paläogen wurden nach dem Durchleuchten der mineralisierten Fliegenpuppen aufwendig digital rekonstruiert. So erforderte das Projekt nicht nur umfassendes Know-how zur Synchrotron-Röntgen-Mikrotomographie, sondern auch detailliertes biologisches und paläontologisches Wissen. Projektkoordinator Dr. Thomas van de Kamp vom LAS des KIT, als Biologe auf Insektenmorphologie und digitale Bildgebung biologischer Proben spezialisiert, stellte die Verbindung zwischen Physik und Biologie her. Weitere Hauptautoren sind der Paläontologe Dr. Achim H. Schwermann vom LWL-Museum für Naturkunde Münster, Experte für Fossilisierungsprozesse, und der Biologe Dr. Lars Krogmann vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart, Spezialist für parasitische Wespen, der die systematische Einordnung der gefundenen Parasiten übernahm und die formellen Artbeschreibungen verfasste. Insgesamt wirkten 18 Wissenschaftler – Biologen, Paläontologen, Physiker, Informatiker und Mathematiker – von mehreren Universitäten und Museen an dem interdisziplinären Projekt mit, davon acht Forscher des KIT. Beteiligt waren neben den genannten Institutionen das Institut für Photonenforschung und Synchrotronstrahlung (IPS) und das Institut für Prozessdatenverarbeitung und Elektronik (IPE) des KIT sowie Einrichtungen der Universitäten Heidelberg und Bonn. (idw, red)

Die Datensätze mit den gefundenen Parasiten lassen sich unter http://www.fossils.kit.edu einsehen.

Videos gibt es unter:

youtu.be/hdSrWY9FpYM
youtu.be/xDvYjHTf3lc

Literatur:

Thomas van de Kamp, Achim H. Schwermann, Tomy dos Santos Rolo, et al.: Parasitoid biology preserved in mineralized fossils. Nature Communications. 2018. DOI: 10.1038/s41467-018-05654-y.
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