Krebskongress 2020 – „informativ. innovativ. integrativ“

Spannende neue Themen für Labor und Radiologie
Mirjam Bauer, Michael Reiter
Krebskongress 2020 – „informativ. innovativ. integrativ“
#DKK2020 Für alle: © M. Bauer
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Vier Tage lang diskutierten im Februar Vertreter aus Wissenschaft, Ärzteschaft, Politik und Verwaltung sowie Studierende und Pflegekräfte in rund 300 Sitzungen die neuesten Erkenntnisse in der Krebsmedizin. Mit mehr als 11.000 Teilnehmern zeigte sich der Deutsche Krebskongress als wichtigste deutschsprachige onkologische Veranstaltung und feste Institution für alle, die sich mit der Krebsbekämpfung beschäftigen.

Ausrichter sind die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. (DKG) und die Stiftung Deutsche Krebshilfe. Alle zwei Jahre findet der gemeinsame Kongress in Berlin statt, im Jahr 2020 erstmalig mit einer klaren Trennung von Wissenschaft und Industrie. Unter dem Motto „informativ. innovativ. integrativ. Optimale Versorgung für alle“ ging es unter anderem um interdisziplinären Wissensaustausch, um Innovationen und Behandlungen über Sektorengrenzen hinweg. Neben der Prävention standen ein Patiententag, ein Tag für die Studierenden, die Vorstellung neuer Leitlinien und aktuelle gesundheitspolitische Themen, interaktive Tumorkonferenzen und die translationale Onkologie auf dem Programm.

Kongressort CityCube Berlin

Immunonkologie/Labordiagnostik

Praxisrelevante Informationen für die zahlreichen weiteren Fachleute aus den Gesundheitsberufen ließen sich an vielen Stellen finden. Speziell für die Assistenten in Labor und Radiologie haben wir uns im CityCube umgeschaut. Eine seit langer Zeit bekannte systemische Therapie in der Immunonkologie ist die Knochenmarkstransplantation. Hier arbeitet die Ärztin Dr. Cornelia Link-Rachner an der Schnittstelle von Labor und Klinik als Clinical Scientist daran, mit neuen Methoden die Vorhersage des Therapieausgangs zu verbessern. Mit hochmodernen Next-Generation-Sequencing-Methoden (NGS) analysiert sie T-Zell-Populationen, um mehr über die Graft-versus-Host-Reaktionen zu lernen. Denn rund 500.000 Menschen erkranken jährlich neu an Krebs; dank medizinischer Innovationen sind fast alle Krebsarten jedoch besser behandelbar als noch vor wenigen Jahren, unter anderem dank der Fortschritte in Chirurgie, Strahlentherapie und Immunologie. Ein weiterer Hoffnungsträger in der systemischen Therapie liegt darin, den eigenen Körper gegen Krebs zu mobilisieren und die „sich maskierenden“ Krebszellen zu erkennen. Mit Checkpoint-Inhibitoren gelingt dies ebenso wie über die komplexe CAR-T-Zelltherapie, bei der die T-Zellen der Patienten durch gentechnische Veränderung zu Tumorkillern werden. Bisher ist diese Therapie nur für wenige Indikationen zugelassen, ihr Einsatz bei Krebserkrankungen wird intensiv erforscht.

Mammadiagnostik/Radiologie

Im Bereich Brustkrebs- oder Mammadiagnostik diskutierten Prof. Walter Heindel, Prof. Dr. Achim Wöckel, Prof. Dr. Kathrin Barbara Krug und Prof. Dr. Diana Lüfter die technischen Möglichkeiten sowie den klinischen Nutzen in der senologischen Bildgebung. „Brustkrebs-Früherkennung durch Screening – mehr als Mammografie?“ fragte sich Prof. Heindel aus der Uniklinik Münster und fasste zusammen: „Brustkrebs bleibt die häufigste Krebserkrankung bei Frauen ab 50 Jahren. Deshalb bietet das Screening eine gute Möglichkeit, Krebs früh zu erkennen und die Sterblichkeit zu senken.“ Eine Weiterentwicklung sei die Tomosynthese (3-D-Mammografie); bei der vermehrten Forschung für die kleine Gruppe der Frauen mit dichterem Brustgewebe sollte man Ultraschall und MRT einbeziehen. Eine ToSyMa-Studie dazu (Ende März 2020, Ergebnisse 2021) sei mit 66.000 Teilnehmerinnen gut fortgeschritten, um die Umsetzbarkeit zu demonstrieren. Zurzeit wird noch diskutiert, ob das neue Verfahren eine Überdiagnostik darstelle oder ob sich damit tatsächlich mehr Tumoren identifizieren lassen. – Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) soll das Ergebnis verbessern. Am Ende steht die Lebensqualität, die durch schonende Therapien verbessert werden soll, als wichtiges Ziel.

Prof. Krug aus dem Universitätsklinikum Köln stellte organisatorische und klinische Eckdaten der Primärdiagnostik des Mammakarzinoms vor. Dazu gehört die gerätetechnologische Trias aus Sonografie, Röntgen- und MR-Mammografie, mit der Niedrig- und Hochkontrastbereiche mono- als auch multiparametrisch erfasst werden. Voraussetzung für die Durchführung von MR-Untersuchungen, so Prof. Krug, sei die Verfügbarkeit einer hochauflösenden, multiparametrischen Hochfeldtechnologie mit dedizierten Brustspulen. Diese sei in zertifizierten deutschen Brustzentren gegeben. Ferner gehörten die Diffusionsbildgebung und die Ausstattung für MRT-gesteuerte Mamma-Interventionen dazu. Letztere habe eine fast 100-prozentige Treffsicherheit im Ausschluss einer Multifokalität, Multizentrizität und/oder Bilateralität: Insbesondere bei dichtem Drüsenparenchym und bei Mikroverkalkungen sei die multiparametrische MRT-Bildgebung indiziert. Die Primärdiagnostik diene als Grundlage der Therapieentscheidung, der Operationsplanung, des Monitorings einer Chemotherapie und der Nachsorge. Die Nachsorge behandelte der Vortrag von Prof. Wöckel aus dem Universitätsklinikum Würzburg: Welche Untersuchungen verbessern das Überleben? Ziele der Nachsorge seien die Früherkennung von Rezidiven, Metastasen und kontralateralen Karzinomen. Immer sollten die Lebensqualität und Leistungsfähigkeit verbessert beziehungsweise gesteigert, Therapien vermieden werden. Bei Männern sei Brustkrebs aggressiver, sie benötigten daher vermehrte Nachsorge. Insgesamt sind Interventionen hinsichtlich chronischer Begleiterkrankungen und Lebensstil angebracht, um den negativen Einfluss auf den Krankheitsverlauf zu reduzieren. Dazu gehören gesunde Ernährung ohne Rauchen, hinreichende Bewegung, nächtliches Fasten und ein möglichst geringer Alkoholkonsum.

Einer spannenden Frage stellte sich die letzte Referentin der ‧Session, Prof. Lüfter: „Palliation – ist Bildgebung noch sinnvoll?“. Für die Gesellschaft lautet die Frage laut Health Technology Assessment (HTA) eher nein, für die Therapeuten sicher ja. Für die Patientinnen und Patienten ist die Antwort zu 100 Prozent ja, doch sie wünschen sich eher Lebensqualität statt Lebensverlängerung. Dabei ist die Bildgebung nicht verzichtbar.

Blick über die Industrieausstellung

Pathologie in Labor und Bildgebung

Um den Nutzen von KI-Systemen in der morphologischen und bildgebenden diagnostischen Medizin drehte sich eine weitere Session. Funktioniert dieser Ansatz auch ohne Humandiagnostiker? Zunächst beschäftigte sich Prof. Dr. Joachim Denzler aus Jena mit den Möglichkeiten des Einsatzes von KI in der bildgestützten Diagnostik. Das E-Health-Zentrum für Krebstherapien an der Friedrich-Schiller-Universität Jena nutzt KI, und insbesondere das maschinelle Lernen, beispielsweise zur Erzeugung von Arztberichten. Ferner nutzen die Jenaer eine bildbasierte Suche nach Patienten mit ähnlichen Befunden und Vergleichsfällen. Dabei entscheidet die Maschine nicht, sie schlägt nur vor und erklärt. So erhält der Arzt zusätzliche Informationen für seine Entscheidung, und die Integration von Wissen hilft ihm, den Vorschlag zu verstehen. Da die Methoden der KI mächtig sind und der Einsatz für den klinischen Alltag noch nicht in allen Bereichen absehbar sei, solle die KI nur als Unterstützung genutzt werden, die durch Erklären die nötige Transparenz schaffe und durch die Wissensintegration Akzeptanz fördere. KI leistet aber noch viel mehr als Bildanalysen für Diagnostiker, so der Tenor im Radiomics-Vortrag von Prof. Daniel Rückert. Er war vom Imperial College London nach Berlin gekommen: Neuronale Netze machen es unter anderem auch möglich, die Outputqualität der Systeme zu verbessern, die Ressourcennutzung in der Radiologie zu optimieren und Workflows zu verschlanken.

Die Möglichkeiten und Grenzen morphologischer Diagnostik ohne Mikroskop und Pathologen standen im Mittelpunkt bei Dr. Carsten Marr. Der stellvertretende Leiter und Research Group Leader, Institute of Computational Biology am Helmholtz Zentrum München, wertete Blut- und Knochenmarksausstriche von Leukämiepatienten aus. Sein Ziel war die Unterscheidung von Blasten und gesunden Zellen. Die KI funktioniere sehr gut, mit 99 Prozent ähnlich wie beim Zytologen, so der Forscher weiter. Der Vorteil: Das Ergebnis von vielen Ausstrichen sei in Sekunden statt Stunden verfügbar. Allerdings gebe es auch Schwierigkeiten, denn Zellen, die sehr selten vorliegen, erschweren das Trainieren der Algorithmen. Daneben vergleicht man in seinem Institut statistische mit mechanistischen Modellen – beispielsweise für die Hämatopoese, um personalisierte Vorhersagen zur Flussdynamik des Blutes zu treffen. So züchten die Teams im Münchner Labor auch Stammzellen von Patienten und werten Daten aus, um bei Leukämien und deren Vorstufen die Aggressivität frühzeitig zu erkennen (Interview: https://www.mta-dialog.de/artikel/dkk-2020-morphologische-diagnostik-ohne-mikroskop-und-pathologen.html).

Einen Ausblick in die Zukunft wagte Prof. Dr. Wolfgang Weber aus München. Seine Frage lautete: „Wo stehen wir in zehn Jahren: Alles nur KI oder alles nur Hype?“ Seine Fazit-These „Keine KI ohne Radiologen“ bestätigen viele Kollegen: KI wird die Befundung unterstützen; weniger Radiologen werden künftig mehr Bilder interpretieren und KI-generierte Resultate werden direkt an die Kliniker gehen.

Translationale Onkologie

Eine weitere Session im Bereich der translationalen Onkologie befasste sich mit innovativen Biomarkerkonzepten zur Steuerung onkologischer Therapien. So referierte Prof. Dr. Christoph Röcken aus Kiel über die gewebebasierte Diagnostik und Molekularpathologie. Diese stelle eine besondere Herausforderung dar, denn Krebs sei eine komplexe mikroevolutionäre Erkrankung mit erheblichen klinischen Konsequenzen, betonte der Experte. Der Tumor passe sich der Umgebung an, und genau deshalb sei eine zielgerichtete Therapie unabdingbar. Stichprobenfehler – beispielsweise Biopsie versus Resektat – müssen vermieden werden. Zur Risikoabschätzung im Bereich Sensitivität und Spezifität seien klare Empfehlungen zur Probennahme notwendig – inklusive kontinuierlichem genetischen Monitoring: Rebiopsie bei Non-response und Progress oder Liquid Biopsy. Ferner müssen die Therapieschemata angepasst werden, analog zur Antibiotikaresistenz. Insgesamt sollte die Mikroevolution besser verstanden werden, um dauerhaft Erfolge zu sichern.

Über Liquid Biopsy und Therapieselektion referierte PD Dr. Andreas Berger von Vivantes. Er legte dabei den Schwerpunkt auf Erkrankungen im gastro-onkologischen Bereich. Im Blut zirkulierende Tumor-DNA, ctDNA, ist repräsentativ für das Tumorgenom, unterstrich der Experte. Bei einer Reihe von Indikationen sieht er ein enormes Potenzial für eine Therapiestratifikation. Für ihre Durchsetzung erfordert die blutbasierte Diagnostik eine technische und methodische Standardisierung. Die zu bewältigende Herausforderung der Liquid Biopsy besteht laut Dr. Berger in der Detektion von Exosomen: Diese Vesikel können unterschiedliche Tumorzellkomponenten wie etwa Nukleinsäuren oder Proteine enthalten. Viele sehen in ihnen vielversprechende neue Biomarker.

Das Fazit vom Kongress: Jeder Krebsbetroffene in Deutschland sollte die gleichen Chancen auf eine optimale Versorgung erhalten. Dazu sind insbesondere qualitativ hochwertige diagnostische Ergebnisse aus Labor und Radiologie unabdingbar – mit Unterstützung neuester Technologien und Methoden. Nur interdisziplinär und gemeinsam kommen wir im Kampf gegen den Krebs weiter voran.

Entnommen aus MTA Dialog 5/2020

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