Infektionsrisiken durch Stich- und Schnittverletzungen

Infektion einer Auszubildenden bei der Blutentnahme Was war passiert?

Die Klägerin befand sich in einer ärztlichen Praxisgemeinschaft in ihrer Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten. Die Praxis benutzte nicht die nach der Technischen Regelung für biologische Arbeitsstoffe (TRBA 250) erforderlichen Sicherheitskanülen. Die Auszubildende entnahm auf Weisung bei einem Patienten, der an Hepatitis C erkrankt war, Blut. Ihre Bitte nach Sicherheitskanülen war abgelehnt worden. Die Klägerin stach sich die Nadel in den Finger und infizierte sich mit Hepatitis C. Die Klägerin hat über die Erkrankung mit Hepatitis C hinaus weitergehende Gesundheitsbeeinträchtigungen erlitten, die auf die Infektion zurückzuführen sind. Infolge der medikamentösen Dualtherapie der Hepatitis C mit einem Interferonprodukt und Ribavirin stellte sich bei der Klägerin eine rheumatoide Arthritis ein, die bis heute anhält.

Wie entschied das Gericht?

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg (Urteil vom 9. Juni 2017 – 7 Sa 231/16) entschied, dass es einem Arbeitgeber obliege, dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitsmittel, die er seinem Arbeitnehmer zur Verfügung stellt, den Unfallverhütungsbestimmungen entsprechen (hier: unterlassene Verwendung der vorgeschriebenen Sicherheitskanülen zur Blutentnahme). Führt der Arbeitnehmer aufgrund der Weisung seines Arbeitgebers oder dessen Vertreters eine gefährliche Arbeit aus, so ist regelmäßig ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Arbeitnehmers zu verneinen (Leitsatz).

Der Beklagte haftet für den aus diesem Unfall resultierenden (immateriellen) Schaden. Bei der Verletzung der Klägerin handelte es sich um einen Arbeitsunfall. Der Unfall ereignete sich während der Tätigkeit der Klägerin im Rahmen des Ausbildungsverhältnisses. Die Berufsgenossenschaft hat den Unfall der Klägerin als Arbeitsunfall anerkannt mit der Folge, dass das Gericht an diese Feststellung gebunden ist. Der Beklagte kann sich nicht auf das Haftungsprivileg des § 104 SGB VII berufen. Er hat es dem Zufall überlassen, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklichte oder nicht. Die Klägerin befand sich noch in der Ausbildung, auch wenn diese sich bereits dem Ende näherte. Es wurden keine Sicherheitskanülen zur Verfügung gestellt, gleichwohl die Klägerin diese verlangte. Ungeachtet dessen hätte der Beklagte die Sicherheitskanülen, so wie sie durch die TRBA 250 vorgeschrieben waren, auch ohne ein entsprechendes Verlangen der Klägerin bereitstellen müssen. Er war sich des Risikos der Blutentnahme bewusst. Ein Mitverschulden der Klägerin wurde nicht angenommen. Führt der Arbeitnehmer aufgrund der Weisung des Arbeitgebers eine gefährliche Arbeit aus, so ist regelmäßig ein Mitverschulden zu verneinen. Dies gilt vor allem im vorliegenden Fall.

Der Beklagte wurde zum Ersatz des durch den Unfall entstandenen Schadens verurteilt. Der Schadensersatzanspruch umfasst insbesondere ein Schmerzensgeld in Höhe von 150.000 Euro.

Was heißt das für Sie?

Arbeitgeber im Gesundheitsdienst müssen ihre Beschäftigten über Infektionsrisiken durch Stich- und Schnittverletzungen aufklären und den sachgerechten Umgang mit Kanülen vermitteln sowie eine Betriebsanweisung hierüber erstellen. Sofern Sie sich nicht in der Lage fühlen, die Blutabnahme, die häufig von MTA gefordert wird, auszuüben, können Sie diese verweigern, ohne dass Ihnen gemäß § 612 a BGB zudem arbeitsrechtliche Nachteile entstehen können. Der Arbeitgeber ist in der Pflicht, für den notwendigen Arbeitsschutz zu sorgen und Sie so anzuleiten und zu beaufsichtigen, dass eine Gefährdung für Sie ausgeschlossen wird.

Verrechnung von Mehrarbeits- und Minusstunden einer Teilzeitbeschäftigten Was war passiert?

Die Klägerin war mit wöchentlich 19,5 Arbeitsstunden bei der Beklagten beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war unter Bezugnahme auf § 6 II TVöD festgelegt, dass für die Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit jeweils der Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember zugrunde gelegt wird. Etwaige zusätzlich geleistete Arbeitsstunden wurden in der Vergangenheit zum Ende des Jahres ausgezahlt. Etwaige Minusstunden gingen zulasten der Beklagten und wurden nicht verrechnet. Die Klägerin hatte im streitgegenständlichen Zeitraum, auf Grundlage eines Dienstplanes, in fünf Monaten über der durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit (81,6 Stunden) liegende Arbeitsleistungen („Mehrarbeitsstunden“), und in fünf Monaten lag ihre monatliche Arbeitsleistung darunter („Minusstunden“). Die Beklagte vergütete die Arbeitsleistungen der Klägerin monatlich gleichbleibend auf Basis von 19,5 Wochenstunden.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, Mehrarbeitsstunden mit Minusstunden zu verrechnen. Monatlich geleistete Mehrarbeitsstunden seien zu vergüten. Monatlich angefallene Minusstunden gingen wegen des Annahmeverzugs zulasten der Beklagten. Sie machte daher Vergütung für erbrachte Mehrarbeit im Zeitraum Januar bis Oktober 2015 klageweise geltend.

Wie entschied das Gericht?

Gemäß § 6 II 1 TVöD kann für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zugrunde gelegt werden. Ist eine entsprechende Festlegung erfolgt, muss die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit erst in diesem Zeitraum erreicht werden. Vergütungspflichtige Mehrarbeitsstunden können bei Vorliegen eines Ausgleichszeitraums nur dann entstehen, wenn durch den Beschäftigten im Ausgleichszeitraum Arbeitsleistungen in einem die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit überschreitenden Umfang erbracht wurden (redaktionelle Leitsätze).

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. Juni 2017 – 7 Sa 381/16, stellt in Einklang mit der Rechtsprechung des BAG (BAG vom 25. April 2013 – 6 AZR 800/11, BeckRS 2013, 70062) klar, dass die Regelung in § 6 II 1 TVöD eine Verteilung der Arbeitszeit innerhalb eines Jahreszeitraums ermöglicht, das heißt, dass die regelmäßige, wöchentliche Arbeitszeit erst in einem Zeitraum von bis zu einem Jahr erreicht werden muss und als durchschnittliche Arbeitszeit geschuldet ist. Übersteigt die im Jahreszeitraum (1. Januar bis 31. Dezember) geleistete Arbeitszeit den für diesen Zeitraum vereinbarten Umfang des Arbeitszeitvolumens, hat die Beklagte diese Mehrarbeit zu vergüten. Hat die Beklagte die Klägerin hingegen innerhalb dieses Jahreszeitraums in einem ihre regelmäßige Arbeitszeit unterschreitenden Umfang eingesetzt, ist die Beklagte dennoch verpflichtet, an die Klägerin das Entgelt für ihre regelmäßige Arbeitszeit zu leisten. Dieses Entgelt für die regelmäßige Arbeitszeit hat die Beklagte nach der maßgeblichen Entgeltgruppe gezahlt.

Geschlechtsneutrale Stellenausschreibung Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 10. Oktober 2017 (1 BvR 2019/16) festgehalten, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Sinne des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG auch die geschlechtliche Identität derjenigen schützt, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Diese Personengruppe muss daher, nach Ansicht des Gerichts, ebenfalls vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, bis zum 31. Dezember 2018 im Personenstandsgesetz eine entsprechende neue Regelung zu treffen. Für die Praxis ist zu empfehlen, Stellenausschreibungen vorsorglich anzupassen, um nicht eine Diskriminierung mit Schadensersatzfolge nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu begehen (§ 15 AGG).

Nach dieser Empfehlung ist denkbar, dass Stellenausschreibungen nicht mehr geschlechtsneutral sind, wenn sie nur deutlich machen, dass sowohl männliche als auch weibliche Bewerber für die entsprechende Stelle in Betracht kommen, sondern erst dann, wenn auch Personen angesprochen werden, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, zum Beispiel durch den Zusatz „m/w/divers (oder Alternativ: inter)“. Dies sollte daher schon jetzt bei Stellenausschreibungen berücksichtigt werden.