Frauen in Medizin und Wissenschaft

Historisches
Heinz Fiedler
Frauen in Medizin und Wissenschaft
Emmy Noether © Mathematical Association of America, Gemeinfrei, wikimedia
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Bereits in der Antike hatten die Philosophen eine zwiespältige Stellung zur Teilnahme von Frauen an den Diskussionen. Durch das Schweigegebot von Paulus (1. Korintherbrief) war Frauen Predigt und Priestertum untersagt und damit auch der Besuch von Universitäten und Diskussionsrunden.

In den ab 1200 in Italien gegründeten Universitäten wurden die Spielräume für Frauen größer. An der berühmten Medizinischen Schule von Salerno waren verschiedene „Mulieres Salernitanae“ tätig, die Lehrschriften und Rezepte ausstellten. Die Ärztin Trotula (12. Jahrhundert) wurde durch die Schrift „Practica“ bekannt. Zunächst wurde jedoch die Schrift ihrem Mann oder Sohn zugeordnet, später wurde sie selbst in einen Mann verwandelt. In Bologna hielt 1390 Dorotea Bocchi (auch Bucca) in Nachfolge ihres Vaters (Arzt, Philosoph) Vorlesungen vor etwa 200 Studenten aus ganz Europa.

In Deutschland waren nicht akademisch ausgebildete Frauen als Heilkundige (Hildegard von Bingen, Radegundis), Baderinnen, „Augenärztinnen“, Spitalfrauen und vorwiegend als Hebammen tätig. Akademische Ausbildung war nur möglich, wenn Väter, Brüder oder Ehemänner sich dafür einsetzten und eine Absonderung von männlichen Studenten möglich war. Agathe Streicher (1520–1581) wurde vom Bruder zu einer bekannten Ärztin in Ulm ausgebildet. Dorothea Christiana Erxleben (1715–1762) aus Quedlinburg durfte 1754 mit einer Genehmigung von Friedrich II. in Halle als erste Frau in Preußen promovieren. Dagegen konnte Marie Anne Victonine Boivin (1773–1841 oder 1847) kein Studium absolvieren, aber erhielt 1827 die Ehrendoktorwürde der Universität Marburg für ihre Arbeit als Hebamme, Anatomin, Publizistin von Lehrschriften und Leiterin von Spitälern.

Dorothea Christiana Erxleben | © Universität Halle, gemeinfrei, wikimedia

Frauen ohne Medizinausbildung

Auch außerhalb der Medizin sind immer wieder Frauen mit theoretischen und praktischen Erkenntnissen in die Öffentlichkeit getreten. Camilla Erculiani (gestorben nach 1584) war eine italienische Apothekerin, Naturphilosophin und Verfasserin eines Buches in Form von Briefen (Principia Philosophia). Sie kannte die Werke von Galen und Aristoteles und war bekannt mit Galilei. Sie äußerte neue Ideen, die sie auf die Überwachungsliste der Inquisition brachten. Heute würde man sie auch als Feministin einordnen. Ähnliches erlebte Elena Lucrezia Cornaro Piscopia (1646–1684), die als Gelehrte (mit sieben Sprachen) eine theologische Promotion mit Lehrbefugnis anstrebte. Da eine Frau in der Kirche zu schweigen hatte, wurde als Kompromiss ein Thema aus der Logik des Aristoteles erlaubt und 1678 abgeschlossen (weltweit erstmals).

Elizabeth Fulhame (etwa 1750–1820) veröffentlichte 1794 ein Buch über Verbrennungsvorgänge und löste damit die Phlogistontheorie ab, das heißt „Kohlenstoff nimmt Sauerstoff auf, bildet CO2, während der Wasserstoff des Wassers sich mit dem Sauerstoff der Luft erneut zu Wasser“ verbindet. In ihren Versuchen spielten katalytische Umwandlungen von Metallsalzen zu Metallen eine Rolle, denn ihr eigentliches Anliegen als Hausfrau war, Stoffe mit Metallen zu färben. Sie beschrieb auch die Lichtsensitivität von Silbersalzen etwa zehn Jahre vor den Photoversuchen von Thomas Wedgewood.

Eunice Newton Foote (1819–1888) stellte 1856 ihre Arbeit über die Wirkung von Sonnenstrahlen auf verschiedene (in Flaschen eingeschlossene) Gase vor. Die Vorlesung ihrer Ergebnisse in der akademischen Gesellschaft musste aber durch J. Henry erfolgen, da für Frauen solche Vorlesungen nicht erlaubt waren, ihr Mann durfte dagegen seine Ergebnisse selbst vorlesen. Sie erkannte den Zusammenhang zwischen Kohlendioxid in der Luft und der Erwärmung der Erdatmosphäre (Treibhauseffekt). Die Bestätigung erfolgte nach drei Jahren durch den bekannten Chemiker John Tyndall, der ihre Arbeit offenbar nicht kannte. Ihre Publikationen wurden erst 2010 durch den Geologen R. Sorensen erneut entdeckt, 2018 auf einem Symposium gewürdigt und ihre Ausgrenzung aus der Wissenschaftsgeschichte beschrieben [1].

Im 16.–18. Jahrhundert war es nur wenigen Frauen (Adligen, Ehefrauen) möglich, eine Universität zu besuchen, wenn überhaupt, dann als Gasthörerin. 1732 wurde die Physikerin und Naturphilosophin Laura Bassi erste Professorin für Elektromagnetismus, sie war eine Anhängerin von Newton und Faraday. In Deutschland waren Frauen von Astronomen gelegentlich im gleichen Fach tätig. Maria Winkelmann (1670–1720) war mit dem Astronomen G. Kirch (Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften) verheiratet. Sie entdeckte 1702 einen Kometen (damals eine Sensation!). Die Entdeckung wurde zunächst ihrem Mann zugeschrieben. Nach dem Tod ihres Mannes wurde sie als seine Nachfolgerin abgelehnt und musste 1717 ausscheiden.

Frauen auf Universitäten in der Neuzeit

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es langsam zu einer Öffnung der Universitäten in Europa. Widerstände wurden besonders in Deutschland durch Burschenschaften und Corpsstudenten geschürt. Der Anatom Theodor von Bischoff (1807–1882) begründete in der Schrift „Das Studium und die Ausübung der Medizin durch Frauen“ seine Ablehnung mit dem geringeren Gehirngewicht der Frauen und „… Studium und Ausübung der Medizin widerstreitet und verletzt die besten und edelsten Seiten der weiblichen Natur, die Sittsamkeit, die Schamhaftigkeit, Mitgefühl und Barmherzigkeit …“ Noch schärfer formulierte Paul Julius Möbius (1853–1907) in seinem Pamphlet „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ (neun Auflagen!, 1900–1908) und behauptete, dass „der Schwachsinn eine der Arterhaltung dienende positive Eigenschaft sei“. Er erhielt viel Beifall, aber auch scharfe Gegenschriften von Wissenschaftlern und zahlreichen Feministinnen. Arthur Kirchhoff startete 1897 die Umfrage „Die Akademische Frau“ und erhielt knapp mehr als 50 Prozent Zustimmung und ein Drittel Ablehnung (kategorisch von Max Planck).

Vorreiter für das Medizinstudium war seit 1840 die Universität Zürich, es kam zu einem Ansturm von Ausländerinnen, besonders von Russinnen, da in Russland ein Hochschulbildungsverbot bestand. 1866 wurde Nadeschda P. Suslowa (1843–1918) als erste Russin in Zürich immatrikuliert und 1867 promoviert. 1872 studierten bereits 109 Russinnen, das waren 95 Prozent aller Züricher Studentinnen. Auch Rosa Luxemburg studierte in den 1890ern in Zürich Volkswirtschaft. Unter den Deutschen wurden Franziska Tiburtius und Emilie Lehmus mit sehr gutem Erfolg promoviert. Sie betrieben gemeinsam in Berlin Privatpraxen und eine „Polyklinik weiblicher Ärzte für Frauen und Kinder“. Als deutsche Ärztinnen sahen sie sich öffentlichen Anfeindungen der männlichen Ärzteschaft ausgesetzt. Sie mussten sich als „Dr. med. in Zürich“ ausweisen, hatten keine Approbation und damit den Status von Heilpraktikern.

Die in England geborene Hope Bridges Adams Lehmann (1855–1916) war 1876 Gasthörerin an der Universität Leipzig und trug während der Vorlesungen Männerkleidung und einen Kurzhaarschnitt, um weniger aufzufallen. Das 1880 abgelegte Staatsexamen wurde offiziell nicht anerkannt, deshalb wurde sie in Bern promoviert (Hämoglobinausscheidung in der Niere) und erhielt in Dublin die britische Approbation. Erst 1904 wurde ihr durch Bundesratsbeschluss die deutsche Approbation und die Berechtigung zur Führung des Doktortitels zuerkannt. Wichtig und weit verbreitet war ihr zweibändiges Buch „Das Frauenbuch. Ein ärztlicher Ratgeber für die Frau in der Familie und bei Frauenkrankheiten“ (1896). Sie engagierte sich als Friedensaktivistin und trat mit Clara Zetkin für die Gleichberechtigung der Frauen ein.

Adele Hartmann (1881–1937) war die erste habilitierte Frau in Deutschland. Der Vater hatte ihre Abiturprüfung verhindert, die sie erst als Volljährige erlangen konnte. 1913 hat sie summa cum laude promoviert, 1918 habilitiert und die Antrittsvorlesung gehalten. Gesetzlich wurde die Habilitation von Frauen aber erst 1920 durch die Weimarer Reichsverfassung erlaubt. Ab 1924 war sie außerordentliche Professorin der Anatomie und forschte über Embryonalentwicklung und über Röntgen- und Kathodenstrahlen.

Interessant sind die Erfahrungen der US-Physiologin Ida Henrietta Hyde (1857–1945) mit deutsch-jüdischer Abstammung (die Eltern aus Württemberg hießen ursprünglich Heidenheimer). Sie studierte mit Unterbrechungen (musste zum Familienunterhalt beitragen) an verschiedenen Universitäten und am Bryn Mawr College und war Assistentin bei Thomas Morgan (Nobelpreisträger, s. u.) und Jaques Loeb. 1893 wurde sie von dem Zoologen A. Goette nach Straßburg eingeladen. Da Goette die Zulassung zur Dissertation nicht durchsetzen konnte, wechselte sie als Gasthörerin an die „liberalere“ Universität Heidelberg. Der Physiologe Wilhelm Kühne (1837–1900, Schöpfer des Begriffes „Enzym“ und Entdecker von Trypsin) erlaubte „keine Röcke“ in seinem Labor, jedoch er war (zunächst als Scherz gemeint) bereit, einem Examen zuzustimmen. Nach vier (!) Stunden Prüfung hatte Ida mit „multa cum laude superavit“ abgeschlossen. Diese einmalige Bezeichnung hatte Kühne erfunden, um das übliche „summa cum laude“ zu vermeiden. Nach dem Examen änderte Kühne allerdings seine ablehnende Meinung und unterstützte Ida Hyde mit Empfehlungen, die sie über Neapel und Bern an die Harvard Medical School führten. Sie erforschte den Aufbau des Herzens und den Blutkreislauf sowie die Einflüsse von Umwelt, Ernährung, Stress und Drogen. Sie entwickelte eine der ersten Mikroelektroden und publizierte 1921 „A Microelectrode and Unicellular Stimulation“ [2]. Die Entdeckungen gerieten weitgehend in Vergessenheit und wurden erst in den 1940er-Jahren erneut entdeckt. 1902 wurde Hyde das erste weibliche Mitglied der American Physiological Society und blieb das einzige bis 1913.

Elizabeth Blackwell (1821–1910) studierte nach zwölf vergeblichen Bewerbungen am Geneva Medical College New York und konnte 1849 als erste Frau in der Geschichte der USA erfolgreich abschließen. 1857 gründete sie mit zwei anderen Frauen das New York Infirmary for Women and Children, dem später ein Women’s Medical College angeschlossen wurde. Nach ihrer Rückkehr nach England gründete sie die National Health Society (Vorläufer des heutigen staatlichen National Health Service) und zusammen mit Florence Nightingale die London School of Medicine for Women.

1878 erlaubte England das Frauenstudium außer an den Eliteschulen Oxford und Cambridge. Ähnliches erfolgte in Frankreich. 1893 ignorierte der Deutsche Reichstag eine Petition von 60.000 Teilnehmern, die den Zugang zum Medizinstudium forderten. Erstmals war das Frauenstudium 1900 in Heidelberg und Freiburg, 1903 in Bayern und 1908 in Berlin möglich Das Habilitationsrecht wurde erst 1920 eingeführt. 1933–1936 quotierten die Nazis den Frauenanteil auf 10 Prozent, aber hoben dies wegen der Kriegspläne wieder auf.

Der 1866 von Wilhelm Adolf Lette gegründete Lette-Verein war eine Berufsausbildungsstätte für Frauen. Marie Kundt (1870–1932) war zunächst Assistentin in der Photographischen Lehranstalt des Vereins und von 1913–1932 Direktorin des Lette-Vereins. Sie und Anna Köppen engagierten sich für die Ausbildung und Berufsbilder der Technischen Assistenten in der Medizin und gründeten den Berufsverband „Bund der Organisationen Technischer Assistentinnen“. Die erste gesetzliche Regelung zur Ausbildung der MTA erfolgte 1921 in Preußen.

Matilda-Effekt

Der Matilda-Effekt beschreibt die Leugnung des Beitrages von Frauen in Wissenschaft und Forschung, deren Erfolge und Arbeiten häufig männlichen Kollegen zugeordnet wird. Die Frauenrechtlerin Matilda Joselyn Gage (1826–1898) hat das Phänomen 1870 in ihrem Aufsatz „Woman as Inventor“ als Erste beschrieben. Das Eponym Matilda-Effekt wurde 1993 von der Historikerin Margaret W. Rossiter geprägt [3]. Eine ähnliche, aber konträre Sichtweise bietet der Matthäus-Effekt, der auf das Matthäus-Evangelium zurückgeht: „… wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden …“ oder „wer hat, dem wird gegeben“, das heißt einem angesehenen (meist männlichen) Wissenschaftler werden Erfolge zugeschrieben, die andere oder Vorgänger erbracht haben [4]. Der Schöpfer des Matthäus-Effektes, Robert K. Merton, hat dies auch auf die Zitierhäufigkeit von wissenschaftlichen Veröffentlichungen bezogen: Bekannte Autoren werden häufiger zitiert als unbekannte und werden dadurch noch bekannter. Andererseits kann ein bekannter Autor dafür sorgen, dass die Publikation eines jungen Autors angenommen wird. Das Stigler-Gesetz besagt, dass keine (?) wissenschaftliche Entdeckung nach ihrem Entdecker benannt wird, sondern den Namen (Eponym) eines nachfolgenden bekannteren Forschers erhält (zum Beispiel das Asperger-Syndrom wurde nicht von H. Asperger, sondern bereits 1926 von der russischen Ärztin G. J. Sucharewa beschrieben). Frauen (oder auch andere Gruppen) können wegen der sogenannten Gläsernen Decke (glass ceiling) nicht in Führungspositionen aufsteigen: Frauen legen Familienpause ein, haben unzureichende Netzwerke und werden von männlichen Chefs nicht bevorzugt. Nur in Kriegs- und Notzeiten werden für Frauen vorher verschlossene Bereiche geöffnet, wie Ärztinnen in der Armee oder Mathematikerinnen im Manhattan-Projekt.

Die Geschlechtsdiskriminierung wurde von dem Biochemiker Ben Barres (1954–2017) an seiner eigenen Person festgestellt und beschrieben. Er wurde als Mädchen (Barbara) geboren, fühlte sich im Spiel aber als Junge. Er durchlief mit Erfolg das Bildungssystem bis zu einem Lehrstuhl des Neurobiology Department der Stanford University School of Medicine. Er untersuchte verschiedene Nerven- und besonders die Gliazellen und beschrieb deren Wechselwirkung und Signalketten. Als Frau erlebte er zahlreiche Diskriminierungen, sodass er 1997 eine Geschlechtsumwandlung beschloss, auch um einen drohenden Suizid zu vermeiden. Als er sein erstes Seminar als „Ben“ gab, war ein Zuhörer begeistert und meinte, dass er besser sei als seine „Schwester Barbara“ (er wusste nichts über die geschlechts-angleichenden Maßnahmen von Barbara) [5].

Nichtanerkennung von Frauen (Beispiele)

  • Mileva Maric war Physikerin und erste Ehefrau von Albert Einstein. Über die Beteiligung von Mileva an den ersten Arbeiten von Einstein, besonders im „Wunderjahr“ 1905, wird heute noch intensiv diskutiert. Einstein spricht in Briefen von „unserer Arbeit“. Andere Biografen meinen, dass sie nur der „Resonanzboden“ für Einsteins Ideen gewesen sei. Eine weitere Frau hat Einstein (indirekt) entscheidend mit dem Noether-Theorem bei der Allgemeinen Relativitätstheorie und Quantenphysik unterstützt: Emmy Noether (1882–1935) war eine der größten deutschen Mathematikerinnen und gehört zu den Begründern der abstrakten Algebra. Ihr Antrag auf Habilitation am 20. Juli 1915 gelangte bis zum Minister und wurde abgelehnt. Ihre Vorlesungen musste sie unter dem Namen ihres Doktorvaters halten. Erst 1919 konnte sie als erste Frau in Mathematik habilitieren und bekam 1922 eine außerordentliche Professur.
  • Lise Meitner (1878–1968), eine österreichische jüdische Physikerin, kam 1907 nach Berlin und arbeitete 30 Jahre mit dem Chemiker Otto Hahn zusammen, der 1912 die Abteilung für Radioaktivität des Kaiser-Wilhelm-Instituts übernahm. Auf Anweisung von Max Planck durfte Meitner das Institut nur durch einen Hintereingang betreten. Nach der Annektion Österreichs 1938 musste sie als Jüdin nach Schweden fliehen. Dort erfuhr sie, dass Hahn und Fritz Straßmann bei Neutronenbeschuss von Uran mehrere Elemente von der ungefähr halben Masse des Urans erhalten hatten (17. Dezember 1938). Meitner und ihr Neffe O. R. Frisch berechneten im Exil aus den übermittelten Daten, dass eine Kernspaltung mit großer Energiefreisetzung stattgefunden hatte (31. Dezember 1938). Hahn hatte zunächst keine Erklärung gefunden. Meitner wurde in der entscheidenden Publikation nicht erwähnt. 1944 erhielt nur Hahn den Nobelpreis, ein männliches Jurymitglied soll Meitner verhindert haben. Meitner wurde 48-mal vergeblich für den Preis vorgeschlagen.
  • Rosalind Franklin (1920–1958) hat durch Röntgenstrukturanalysen von DNA-Proben 1953 entscheidend zur Strukturaufklärung der DNA beigetragen, ihr Beitrag wurde lange Jahre heruntergespielt. Sie starb vier Jahre vor der Nobelpreisverleihung 1962 an J. Watson, F. Crick und M. Wilkins. Auch von dem Nobelpreis 1982 an Aaron Kluge für die Struktur der Viren-RNA wurde sie wegen ihres frühen Todes ausgeschlossen [6].
  • Nettie Stevens (1861–1912) entdeckte 1905, dass die Geschlechtsbestimmung durch die Geschlechtschromosomen X/Y und nicht wie vorher vermutet durch exogene Einflüsse erfolgt. Edmund Wilson kam später zu gleichen Ergebnissen. Dagegen wurde allgemein diese Entdeckung dem bekannteren Genetiker Thomas Hunt Morgan (1866–1945, Nobelpreis 1933) zugeschrieben.
  • Esther Lederberg (1922–2006) war entscheidend an der Aufklärung der genetischen Vererbung von Bakterien beteiligt. Außerdem entdeckte sie die Bakteriophagen und den fertility factor. Sie gründete und leitete das Plasmid Reference Center. Ihr Mann erhielt 1958 (mit G. Beadle und E. Tatum) den Nobelpreis für genetische Neukombinationen und für das von ihr initiierte replica plating (Stempeltechnik) für die Untersuchung von Mangelmutanten und Resistenzen [7]. Obwohl ihre Arbeiten von größter Bedeutung waren, blieb sie bei Auszeichnungen und Preisen außen vor. Auf der Karriereleiter erreichte sie nur den Titel einer außerordentlichen Professorin.
  • Frieda Robscheit-Robbins (1888–1973) forschte als Pathologin 18 Jahre mit Georg Hoyt Whipple über die Behandlung von Anämien. Als Testmodell entwickelten sie Anämien bei Hunden durch Blutverluste. Ab 1920 wurde der Einfluss von Diäten auf die Neubildung von Hämoglobin untersucht, wobei Gaben von Leber am stärksten wirkten. Die Ergebnisse regten G. R. Minot und W. P. Murphy an, die Leberdiät auch bei der perniziösen Anämie zu versuchen. Bald erkannte man Vitamin B12 als wirksame Substanz. Die drei Männer erhielten 1934 den Nobelpreis. Whipple teilte sein Preisgeld mit Robscheit-Robbins, aber sie wurde bei der Preisverleihung in der Dankadresse nicht erwähnt und verblieb auf der Position einer Forschungsassistentin [8].
  • Elizabeth „Betty“ Press (1920–2008) hat seit 1955 als Immunologin 25 Jahre mit Rodney Porter über die Kettenstruktur von Antikörpern gearbeitet. Sie erkannte, dass die schweren Ketten variable Regionen (vergleichbar mit den leichten Ketten) und ein besonders variables Segment Region 3 enthalten. Mindestens zwei Gene sind für die Synthese der schweren Ketten erforderlich. In 22 Publikationen war sie Co-Autor. Einen weiteren Beitrag zur Strukturaufklärung lieferte Mary Locke Petermann (1908–1975), die über die Antigen-Antikörper-Reaktion mithilfe der Ultrazentrifuge arbeitete (bekannter wurde Petermann durch die Isolierung von Ribosomen). Nur Porter und Gerald Maurice Edelman erhielten 1972 den Nobelpreis für die Aufklärung der Antikörperstruktur.
  • Marthe Gautier (geb. 1925) ist französische Kinderärztin und Genetikerin. Bei einem Studienaufenthalt in Harvard erlernte sie den Umgang mit Zellkulturen. Da nach ihrer Rückkehr inzwischen die ihr zugesagte Stelle von einem männlichen Kollegen besetzt war, kam sie in das Labor von R. Turpin und Jérome Lejeune, die über das Down-Syndrom forschten. Gautier schuf dafür das erste Labor für in-vitro-Zellkulturen in Frankreich. Unter Nutzung eines hypotonischen Milieus erhielt sie Präparate in der Prometaphase und bewies bei einem Jungen mit Down-Syndrom ein zusätzliches Chromosom. Da in ihrem Labor eine moderne Fotoeinrichtung fehlte, stellte J. Lejeune auf ihren Wunsch Fotos ihrer Präparate her, mit denen er die Entdeckung der Trisomie auf einem Kongress 1958 verkündete. In der nachfolgenden Publikation stand Gautier an zweiter Stelle und 1960 wurde die Entdeckung der chromosomalen Anomalie Lejeune zugeschrieben [9]. Gautier fühlte sich herausgedrängt, verließ die Arbeitsgruppe und wurde Forschungsleiterin am nationalen Forschungszentrum INSERM. Bei einer Gedenkveranstaltung 2014 wurde durch die Lejeune-Familie und -Stiftung der Vortrag von Gautier verhindert. Der ihr zugedachte Preis wurde ihr in einer gesonderten Zeremonie überreicht.
  • Die vorliegende Darstellung ist unvollständig und beschränkt sich vorwiegend auf Frauen in Medizin und Naturwissenschaften. Die bis 2019 vergebenen Nobelpreise erhielten 24 Organisationen, 866 Männer und 53 Frauen (letztere meist für Literatur und Frieden). Seit Beginn des 21. Jahrhunderts werden Frauen etwas stärker berücksichtigt. So konnte 2009 als das Jahr der Nobelpreise für Frauen bezeichnet werden: Ada E. Yonath, Elizabeth H. Blackburn, Carol W. Greider, Herta Müller und Elinor Ostrom [10]. Hinzu kamen 2014 May-Brit Moser (mit Ehemann Edvard für räumliche Orientierung und Gedächtnis durch Gitterzellen) und 2018 Frances Hamilton Arnold (gerichtete Evolution neuer Proteine und Therapeutika mittels DNA-Mutanten) und Donna Strickland (Laserphysik, auch in der Ophthalmologie). Die Colworth-Medaille (für junge Wissenschaftler unter 35 Jahren) erhielt 1963–2007 eine Frau von 44 und 2008–2019 vier Frauen von zwölf.

Literatur

  1. Sorenson RP: Eunice Foote’s pioneering research on CO2 and climate warming. Search and Discovery 2011.
  2. Bretag AH: The glass micropipette electrode. A history of its inventors and users to 1950. J Gen Physiol 2017; 149: 417–30.
  3. Rossiter MW: The Matthew/Matilda effect in science. Social Stud Sci 1993; 23: 325–41.
  4. de.wikipedia.org/wiki/Matthäus-Effekt
  5. Barres BA: Does gender matter? Nature 2006; 442: 133–6.
  6. Fiedler H: Raumstruktur und Röntgenstrukturanalyse. MTA Dialog 2008; 9: 862–3.
  7. Lederberg J, Lederberg EM: Replica plating and indirect selection of bacterial mutants. J Bacteriol 1952; 63: 399–406.
  8. en.wikipedia.org/wiki/Frieda_Robscheit-Robbins
  9. Lejeune J, Gautier M, Turpin R: Les chromosomes humains en culture de tissus. Compt rend l’Acad sciences 1959; 248: 1721–2.
  10. Fiedler H: 2009 – Das Jahr der weiblichen Nobelpreisträgerinnen. MTA Dialog 2010; 11: 336–8.

Entnommen aus MTA Dialog 6/2020

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