Frauen in der Radiologie

Ein kurzer historischer Rückblick
Uwe Busch
Frauen in der Radiologie
Abb. 1: Röntgenaufnahme der Hand von Frau Röntgen, aufgenommen am 22. Dezember 1895 am Physikalischen Institut in Würzburg © Archiv Deutsches Röntgen-Museum. Mit freundlicher Genehmigung
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Wesentliche Aufgaben zum Betrieb der Röntgenapparaturen, die Entwicklung von Röntgenplatten und die Durchführung der Strahlentherapie wurden in erster Linie von Frauen übernommen, die damit gleichsam eine Hauptlast der Arbeit in einem Röntgeninstitut trugen.

Die rasante Ausbreitung der Nachricht zur Entdeckung der Röntgenstrahlen wurde in erster Linie durch die Aufnahme einer Frauenhand getriggert. Wesentliche Aufgaben zum Betrieb der Röntgenapparaturen, die Entwicklung von Röntgenplatten und die Durchführung der Strahlentherapie wurden in erster Linie von Frauen übernommen, die damit gleichsam eine Hauptlast der Arbeit in einem Röntgeninstitut trugen. Dabei entwickelte sich in Deutschland ein vollkommen neues weibliches Berufsfeld ohne männliche Konkurrenz. Allerdings zogen sich auch zahlreiche dieser Pionierinnen bei ihrer aufopferungsvollen Arbeit strahleninduzierte Verbrennungen zu, die teilweise zum Tode führten.

Prolog

Am 8. November 1895 entdeckte W. C. Röntgen in seinem 50. Geburtsjahr „eine neue Art von Strahlen“, die in der Folge weltweit Wissenschafts- und Alltagsgeschichte geschrieben haben und bis heute schreiben. Der Name Wilhelm Conrad Röntgen steht für Superlative wie „genial“, „einmalig“, „wegweisend“, „revolutionär“. Die Entdeckung der nach ihm benannten Strahlen jährt sich im Jahr 2020 zum 125. Mal. Am 27. März hätte Röntgen seinen 175. Geburtstag begangen.

Röntgen läutete mit seiner Entdeckung auch eine neue Ära der medizinischen Diagnostik und Therapie ein. Er selbst erkannte die Eigenschaft der „X-Strahlen“, Objekte unterschiedlicher Dichte durchdringen zu können. Seine Leidenschaft für die Fotografie ermöglichte es ihm, seine Forschungsergebnisse fotografisch zu dokumentieren. Dabei stellte er auch erste Schattenbilder vom Inneren des menschlichen Körpers her. Neun der frühen Aufnahmen sandte Röntgen mit seiner ersten Abhandlung zu bedeutenden Physikern und Freunden. Darunter befand sich auch das Röntgenbild der Hand seiner Frau Anna Bertha Röntgen, das Röntgen am 22. Dezember 1895 wahrscheinlich speziell für die Veröffentlichung hergestellt hatte. Die Aufnahme dieser Frauenhand ist gleichsam die Geburtsstunde der Radiologie als medizinische Fachdisziplin. Die schnelle Verbreitung der sensationellen Entdeckung auch in der Allgemeinheit ist sicherlich dieser ersten Aufnahme eines menschlichen Körperteils zu verdanken. Mit Anna Berthas Röntgenbild beginnt auch der hier kurz dargestellte geschichtliche Einblick zur Bedeutung und zur Rolle von „Frauen in der Radiologie“.

Abb. 2: Frau mit Kryptoskop um 1900 | © Archiv Deutsches Röntgen-Museum. Mit freundlicher Genehmigung

Frauen und Röntgenstrahlen zur Zeit ihrer Entdeckung

Ob Anna Bertha Röntgen von der Darstellung ihres eigenen Handskeletts begeistert war, ist leider nicht überliefert. Sie könnte zwischen begeisterter Faszination und tiefem Erschrecken gelegen haben. Vielleicht vermittelte der Anblick lebendiger Knochen bei den Mitmenschen doch mehr eine Vorahnung vom eigenen Tode als Begeisterung. Die fehlende Kenntnis von der wahren Natur der neuen X-Strahlen führte zudem auch dazu, die Erklärung im Okkultismus oder im Spiritismus zu suchen. Diese Strömungen waren im späten 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland weit verbreitet. Hieran beteiligten sich auch Wissenschaftler wie der Physiker Karl Friedrich Zöllner (1834–1882), der in Séancen die Existenz der vierten Dimension nachweisen wollte. In London versuchte der britische Physiker und Parapsychologe William Crookes (1832–1919) die Leuchterscheinungen in der Kathodenstrahlröhre als eine neue strahlende Art der Materie in einem vierten Aggregatzustand zu beschreiben.

Obwohl im Zuge der Aufklärung und der Französischen Revolution die Forderung nach Gleichberechtigung der Frau erstmals in die öffentliche Diskussion geriet, scheiterte vorerst ihre rechtliche Gleichstellung. Weiterhin wurden Frauen gerade auch aus der bürgerlichen Schicht vom öffentlichen Leben ausgegrenzt, das nach wie vor dem Mann vorbehalten blieb. Dies galt ebenso für den privaten und öffentlichen Umgang mit Technik. Trotz der technischen Durchdringung in fast alle Lebensbereiche wurden gerade Frauen aus kaum einem anderen Bereich so erfolgreich ausgegrenzt, wie aus der technischen Welt. Technik war ein unverwechselbares Kennzeichen von Männlichkeit. So ist die männliche Exklusivität des im 19. Jahrhundert entstandenen Berufsstandes des Ingenieurs als eine logische Konsequenz der gesellschaftlichen Verhältnisse zu verstehen [1].

Für viele Frauen blieb somit eine öffentliche Auseinandersetzung mit den X-Strahlen verwehrt. In den zeitgenössischen Zeitschriften findet man kaum Aufnahmen von Frauen, die mit Röntgenstrahlen experimentieren. Das Bild einer Frau, die aktiv ihre Hand mit dem Kryptoskop betrachtet, ist eher sehr selten. Zu finden sind allerdings Bilder von Frauen in Röntgenstudios, wobei sie hier meist als passives „Aufnahmesubjekt“ dargestellt werden.

Abb. 3: Ausbildung zur Röntgenschwester. „Auch kleinere Schlosserarbeiten muß (sic!) die Laborantin gelegentlich ausführen können, wenn sie allen Anforderungen gerecht werden will.“ Aus: Die Woche 1928: 1281 | © Archiv Deutsches Röntgen-Museum. Mit freundlicher Genehmigung

Eine höhere Schulbildung, eine Berufsausbildung oder sogar ein Universitätsstudium war für Frauen insbesondere auch aus bürgerlichen Schichten zur Zeit der Entdeckung der Röntgenstrahlen nicht erwünscht. Trotz der vehementen Forderung des 1865 gegründeten Deutschen Frauenvereins auf das Recht auf Bildung für Frauen war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland die Aufnahme eines Studiums für Frauen nicht möglich. Erst 1899 beschloss der Bundesrat, Frauen mit entsprechender Vorbildung den Zugang zum Medizinstudium zu ermöglichen. Es dauerte dann allerdings ein weiteres Jahrzehnt, bis sich Frauen tatsächlich an allen Universitäten in Deutschland immatrikulieren durften. Insbesondere das Frauenmedizinstudium wurde beeinflusst durch den Ruf nach „Weiblichen Ärzten für weibliche Patienten“. Die Einführung einer mehr und mehr naturwissenschaftlich orientierten medizinischen Diagnostik unter Einsatz technischer Hilfsgeräte wie dem Stethoskop oder dem Vaginalspekulum machten anders als vorher die Entblößung des weiblichen Körpers erforderlich. Dieses „unmoralische“ Handeln bedurfte einer neuen „medizinischen Kultur“, „die darauf abzielte, Alltagsnormen und Tabus im Verhältnis von Arzt und Patient(in) außer Kraft zu setzen“ [2]. Weibliche Ärzte sollten der Scheu vieler Frauen vor männlichen Ärzten und der damit teilweise einhergehenden Verschleppung von Krankheiten entgegenwirken. Unterstützt wurden diese Forderungen nicht nur vonseiten der weiblichen Emanzipationsbewegung, sondern auch von renommierten männlichen Medizinern wie dem Gynäkologen Paul Zweifel (1848–1927) [3].

Trotz einiger vehementer Gegenstimmen zur Beschäftigung von Frauen in der Medizin, die unter anderem vorgetragen wurden vom Apotheker und Pharmaziehistoriker Hermann Schelenz (1848–1922) [4] und dem Neurologen und Wissenschaftspublizisten Paul Julius Moebius (1853–1907) [5] etablierten sich so die ersten medizinischen Berufsfelder für Ärztinnen in Deutschland. Aufklärung über Körperfunktionen, Ratschläge zur Körperhygiene und Aufklärung über Verhütungsmittel im Sinne von Familienplanung waren Themenbereiche, die die Ärztinnen besetzten [6].

Abb. 4: Schwester mit Röhre im Röntgenkabinett um 1910. Links an der Wand befindet sich der Halter für die unterschiedlich harten Röhren. | © Archiv Deutsches Röntgen-Museum. Mit freundlicher Genehmigung

Die generelle Forderung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins zielte aber insbesondere auch auf eine qualifizierte Berufsausbildung für Frauen. Diese blieb anfangs eher auf eine kleine Zielgruppe beschränkt. In sogenannten Höheren-Töchter-Schulen war der Ausbildungsbezug zudem eher eng angelehnt an häusliche und weibliche Attribute. Ausgebildet wurden Frauen zu Köchinnen, Gesellschafterinnen, Näherinnen, Verkäuferinnen, Musterzeichnerinnen, Erzieherinnen, Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen [7].

Frauenarbeit in der Radiologie

Mit der früh erkannten besonderen Bedeutung der Röntgenstrahlen für die medizinische Diagnostik und der rasant zunehmenden Anzahl von Röntgenuntersuchungen wurde der Ruf laut nach gut ausgebildetem Hilfspersonal. Rechnung getragen wurde dieser Entwicklung zuerst am Lette-Verein in Berlin [8]. Unter der Leitung von Marie Kundt (1870–1932), der Nichte von Wilhelm Conrad Röntgens Mentor August Kundt (1839–1894), begann die im Jahr 1890 gegründete Photographische Lehranstalt des Lette-Vereins bald nach Röntgens Entdeckung mit der Ausbildung von Frauen für die röntgenfotografische Assistenz des Arztes. „Die Schülerinnen mußten (sic!) nach Erlernen der photographischen Technik – Aufnahme, Entwicklung und Behandlung des Negatives, Anfertigung der Kopie – sich besonders mit dem Instrumentarium vertraut machen, das zur Röntgenaufnahme benötigt wurde“ [9].

Als erste ausgebildete Röntgenfotografin erhielt Paula Chelius 1897 im Krankenhaus Hamburg-Eppendorf bei Professor Hermann Gocht (1869–1938) eine feste Anstellung als Röntgenschwester. Sie trug Schwesterntracht und erhielt die Pensionsberechtigung. Mit der weiter wachsenden medizinischen Akzeptanz röntgendiagnostischer und später auch strahlentherapeutischer Verfahren wuchs der Bedarf an entsprechend qualifiziert ausgebildetem Hilfspersonal permanent weiter. Im Jahr 1905 wurde wiederum vom Lette-Verein der Beruf der „Photographisch-technischen Hilfsarbeiterin an wissenschaftlichen Instituten“ ins Leben gerufen.

Abb. 5: Fixierung eines Patienten bei einer Untersuchung mit einer Kompressionsblende im Werner-von-Siemens-Institut für Röntgenforschung des Krankenhauses Moabit in Berlin um 1923 | © Archiv Deutsches Röntgen-Museum. Mit freundlicher Genehmigung

Mit der Forderung nach einem zentralisierten Röntgenbetrieb in der Weimarer Zeit und der fortschreitenden Etablierung röntgentherapeutischer Maßnahmen expandierte auch der täglich zu bewältigende Arbeitsaufwand. Für die qualifizierten Tätigkeiten kamen aus Sicht vieler Ärzte nur weibliche Hilfskräfte infrage: Einerseits waren die meisten Patienten in der Strahlentherapie weiblich, zum anderen herrschte die weit verbreitete Meinung, dass gerade die weiblichen Attribute Frauen für die radiologisch-technische Unterstützung des Arztes und die Betreuung und Pflege der Patienten besonders prädestinierten. Gestützt wurde diese geschlechtsspezifische Rollenzuweisung durch die Tatsache, dass während der ersten 40 Jahre Nonnen das Arbeitsgebiet der radiologisch-technischen Assistentin in Praxis und Ausbildung dominierten. So wurde auch der Begriff der Röntgenschwester geprägt. Damit entstand und etablierte sich in Deutschland ein neues weibliches Berufsbild ohne männliche Konkurrenz. Mit der 1940 in Kraft getretenen „Ersten Verordnung über die Berufstätigkeit und die Ausbildung Medizinisch-technischer Gehilfinnen und Medizinisch-technischen Assistenten“ wurde dann die Berufsbezeichnung MTA geprägt [10].

Die tägliche Frauenarbeit im Röntgeninstitut

Um 1910 hatten sich an zahlreichen Krankenhäusern eigene Röntgeninstitute gegründet. Hier wurde neben der Diagnostik auch Strahlentherapie durchgeführt. Dazu wurden meist die gleichen Apparaturen benutzt. Die Röntgengeräte bestanden gewöhnlich aus einem Röhrenstativ und einem verstellbaren Patiententisch. Ein Funkeninduktor lieferte die Hochspannung und wurde durch eine Gleichstrombatterie gespeist. Wechselstrom stand in vielen Krankenhäusern noch nicht zur Verfügung. Die Stromunterbrechung erfolgte zum Beispiel über Quecksilberwippen, später durch leistungsstärkere elektrolytische Wehneltunterbrecher. Zusätzliche Ventilröhren verhinderten den bei Funkeninduktoren auftretenden störenden Schließungsstrom. Zur Diagnostik wurden häufig regulierbare Gasionenröhren mit Rippenkühlung verwendet.

In einigen Instituten standen zu dieser Zeit auch schon selbsthärtende wassergekühlte Röhren mit verschiedenen Regenerierungseinrichtungen zur Verfügung. Diese dienten dazu, den Druck in der Röntgenröhre von Zeit zu Zeit zu regulieren. Die Regenerierung bestand aus kleinen Glaskörpern, die außen mit einer Verbindung an der Röhre angebracht waren. Im Inneren befanden sich Substanzen, die von außen angeregt, Gase abgeben und somit die Röhre wieder „weicher“ machen konnten. Dies war erforderlich, da beim Betrieb von der aus Aluminium bestehenden Kathode Metall verdampft, das Gasionen in der Röhre gebunden hat (Getterprinzip). Diese Gasionen sind allerdings für den Stromfluss durch die Röhre von entscheidender Bedeutung. Durch das elektrostatische Feld zwischen Kathode und Anode werden positiv geladene Gasionen auf die Kathode beschleunigt, wo sie durch Stoßionisation Elektronen herauslösen, die dann auf die Anode beschleunigt werden und dort Röntgenstrahlen produzieren. Durch den „Verbrauch“ der Gasionen verändert sich bei dauernder Anwendung somit das Vakuum, und die Röhre wird immer härter. Mit der weiteren Abnahme des Gasdrucks in der Röhre konnte sich deren Widerstand derart erhöhen, dass sich ein Hochspannungsüberschlag mit Blitzen und einem krachenden Geräusch außen über die Glaswand der Röhre entlud. Die teilweise nicht ungefährliche Arbeit der Röhrenregenerierung, bei der manchmal auch eine Röhre implodierte, mussten Röntgenschwestern „nach Gefühl“ durchführen.

Abb. 6: Uterustherapie an der Universitäts-Frauenklinik in Erlangen um 1920 | © Archiv Deutsches Röntgen-Museum. Mit freundlicher Genehmigung

Die Qualität des Vakuums definierte auch den Nutzungsumfang der Röhren. Jede hatte für sich ihre eigenen Qualitäten. Es war auch Aufgabe der Röntgenschwester, sich um die unterschiedlichen Röhren zu kümmern und dem Arzt die jeweils „passende“ Röhre für seine Untersuchung zur Verfügung zu stellen. In ihren Lebenserinnerungen beschrieb die Röntgenschwester Leonie Moser dies als „inniges Verbundensein der Schwester mit ihren Röhren und Apparaten . . . die Voraussetzung für das bestmögliche Gelingen der Aufnahmen“ war [11].

Nach Auswahl der geeigneten Röhre und Festlegung der Hochspannung unter Berücksichtigung des zu untersuchenden Körperteils wurde über eine an der Funkenstrecke angebrachte Zentimeterskala die Hochspannung eingestellt. Dabei musste darauf geachtet werden, dass keine hochspannungsführenden elektrischen Anlagen berührt wurden. Die für die einzelnen Untersuchungen erforderlichen Belichtungszeiten betrugen zwischen 30 Sekunden bei Zahnaufnahmen auf speziell zugeschnittenen Glasplättchen und bis zu 16 Minuten bei Untersuchungen des Hüftgelenks. Aufgrund der langen Belichtungszeiten mussten dabei kleine Patienten von den Röntgenschwestern während der Untersuchung fixiert werden.

Für die Aufnahmen wurden meist Röntgentrockenplatten benutzt. Diese wurden nach der Belichtung von Röntgenschwestern in der Dunkelkammer in Porzellanschalen von Hand circa 20 bis 30 Minuten zum Entwickeln gewippt und anschließend fixiert und getrocknet.

Neben der Untersuchung wurden auch Patienten mit den gleichen Apparaturen zu Therapiezwecken bestrahlt. Ohne die damalige genaue Kenntnis von Dosiswerten wurde zum Beispiel ein Schulterekzem drei- bis viermal wöchentlich jeweils zwölf Minuten mit einer mittelweichen bis harten Röhre im Abstand von 35 Zentimetern bestrahlt. Filter und Röhrenblenden kamen anfangs noch nicht zur Anwendung. Das Feld wurde mit einem Bleigummituch abgegrenzt. Zur Bestimmung der Dosis wurden Plättchen aus Bariumplatinzyanür mitbestrahlt, die unter zunehmender Röntgenbestrahlung ihren Farbton ändern. Filter aus Aluminiumblech fanden ab circa 1912 Anwendung. Ein Uterusmyom wurde circa 40 Minuten bestrahlt. Dabei kam es häufig vor, dass die Röhren während der Bestrahlung zu hart wurden und ausgetauscht werden mussten [11]. Röntgenschwestern waren hier auch dafür verantwortlich, dass unruhige Patienten nicht aus Versehen die meist noch unzureichend oder gar nicht isolierten Hochspannungszuführungen berührten und dabei vielleicht einen tödlichen elektrischen Schlag erhalten hätten.

Neben Röntgenstrahlen wurden in der Strahlentherapie auch radioaktive Substanzen wie Radium eingesetzt. Es war dabei eine der vornehmsten Aufgaben der Röntgenschwester, sich um die Handhabung und die sichere Aufbewahrung des sehr teuren Stoffes zu kümmern. Ohne konkrete Kenntnisse der Gefahren wurde nicht selten das Präparat sicher vor unbefugtem Zugriff nachts unter dem eigenen Bett aufbewahrt.

Strahlenschäden und Strahlenschutz

In den ersten Jahren der Anwendung von Röntgenstrahlen in der Medizin wurden kaum Maßnahmen zum Schutz von Ärzten, Röntgenschwestern und Patienten unternommen. Und das, obwohl bereits 1896 über erste biologische Wirkungen wie Hautrötungen (auch als Röntgensonnenbrand bezeichnet) Haarepilationen und Reizungen der Schleimhäute berichtet wurde [12]. Das Ausmaß strahleninduzierter Gewebeschädigungen wurde erst nach der Synthese der schmerzhaften und manchmal auch tödlichen individuellen Erfahrungen der Röntgenpioniere offensichtlich. Erste Warnungen sprach der amerikanische Physiker Elihu Thomson (1853–1937) wenige Monate nach Röntgens Entdeckung aus. Nachdem er in einem Experiment den kleinen Finger seiner linken Hand mehrere Tage lang, eine halbe Stunde pro Tag bestrahlt hatte, konnte er zeigen, dass die daraus resultierten Verbrennungen vor allem durch weiche Röntgenstrahlen hervorgerufen werden. Er schlug deshalb die Verwendung einer harten Röhre vor, die hauptsächlich Strahlung emittiert, die nicht von der Haut absorbiert wird [13].

Aufgrund von mehr als 1.400 in seinem Röntgenlabor in Chicago 1896 durchgeführten Röntgenuntersuchungen empfahl Wolfram Conrad Fuchs (1865–1908) neben kurzen Belichtungszeiten und einem Mindestabstand der Röhre zum Körper auch das Einreiben der bestrahlten Körperstelle mit Vaseline [14]. Der Bostoner Zahnarzt und Röntgenpionier William H. Rollins (1852–1929) bemühte sich zeitlebens auch aufgrund einer durch Röntgenstrahlen verursachten Verletzung seiner eigenen Hand, Maßnahmen für einen effektiven Strahlenschutz zu entwickeln. Hierzu gehörten die Entwicklung von Röhrengehäusen mit Bleiabschirmungen, Kollimatoren, Blenden und Diaphragmen [15]. Aber erst ab 1913 standen die ersten leistungsfähigen Coolidge-Hochvakuumröhren zur Verfügung, die eine wesentliche Reduktion der Belichtungszeiten ermöglichten. Auf Anregung des britischen Medizinphysikers Sidney Russ (1879–1963) wurden auf einer Sitzung der im März 1897 gegründeten britischen Roentgen Society erste Empfehlungen für den sicheren Umgang mit Röntgeneinrichtungen erstellt. Dieser erste „Code of Practice“ gab insbesondere dem Bedienpersonal ein Regelwerk zum Umgang mit Röntgenapparaturen an die Hand und wurde Vorbild für die weitere internationale Entwicklung von Strahlenschutzverordnungen.

Abb. 7: Das Ehrenmal der Röntgenologen am St. Georg Krankenhaus in Hamburg | © AK St. Georg – Asklepios Kliniken Hamburg GmbH

Weibliche Opfer der Röntgenstrahlen

Trotz dieser vielfältigen Bemühungen im Strahlenschutz haben zahlreiche Pioniere ihr Leben beim Umgang mit Röntgen- und Radiumstrahlen verloren. Sie sind verewigt auf dem Gedenkstein auf dem Gelände des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg in Hamburg. Dieses Denkmal wurde 1936 durch Antoine Béclère (1856–1939), dem Pionier und Begründer der französischen Radiologie, enthüllt. Unter den aufgeführten Namen finden sich auch die zahlreicher Frauen: Agnes Elisabeth Raaschou-Nielsen (1876–1935), Krankenschwester und Radiumassistentin, Kopenhagen (DK); Helga Schumacher (1885–1930), Krankenschwester und Radiumassistentin, Kopenhagen (DK); Maria Ridder (Schwester Blandina) (1871–1916), Röntgenschwester, Köln (D); Martha Wichelhaus (1910–1935), Laborassistentin, Frankfurt (D); Anna Lönnebeck (1856–1920), Röntgenassistentin, Helsingfors (FIN); Margarethe Boulic (1924–1934), Radium- und Röntgenassistentin, Rennes (F); Herzogin de Brancas, (1898–1936), Radiologin, Paris (F), Irène Joliot-Curie (1897–1956); Physikerin, Paris (F); Schwester Glossinde (1873–1927), Röntgenschwester, Metz (F); Marie Slodowska-Curie (1867–1934), Physikerin, Paris (F); Schwester Blanche Wiedemann (unbekannt, etwa 1906), Röntgenschwester, Paris (F); Schwester Ellen Clark (unbekannt, 1941), Röntgenschwester, London (GB); Zora Zec-Kuba (1895–1947), Röntgenassistentin Zagreb (HR); Hilde Maier-Smereker (1893–1954), Physikerin, Wien (A); Marie Leontina Mikysková (1896–1942), Röntgenschwester, Prag (CZ); Flugencie Sumsalova (1882–1936), Röntgenschwester, Olomouc (CZ); I. Nadai (1902–1948), Budapest (H); Elisabeth Fleischmann (1867–1905), Röntgenpionierin, San Francisco (USA); Sofia Vasilievna Ivanova-Podobed (1887–1953), Radiologin, (RUS), Fumiyo Shimadzu (1902–1967), Radiologin, Tokyo (J); Anna Hamann (1894–1969), Radiologin, Chicago (USA) [16].

Anschrift des Autors:
Dr. Uwe Busch, Museumsdirektor
Deutsches Röntgen-Museum, Schwelmer Str. 41 | 42897 Remscheid
uwe.busch@remscheid.de, www.roentgenmuseum.de

Literatur

  1. Orland B: Geschlecht als Kategorie in der Technikhistoriographie. In: Meinel C, Renneberg M (eds.): Geschlechterverhältnisse in Medizin, Naturwissenschaft und Technik. Stuttgart 1996: 30 f.
  2. Wittern-Sterzel R: Frauenärztinnen in der ersten Hälfte des 20 .Jahrhunderts. In: Herausforderungen 100 Jahre Bayerische Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauenheilkunde. Anthuber C, Beckmann MW, Dietl J, Dross F, Frobenius W (eds.), Stuttgart, New York: Georg Thieme Verlag 2012.
  3. Zweifel P: Der Einfluss der ärztlichen Thätigkeit auf die Bevölkerungsbewegung. Antrittsvorlesung gehalten zu Leipzig am 8. Juni 1887. Stuttgart: Verlag Ferdinand Enke 1887.
  4. Schelens H: Frauen im Reiche Aeskulaps. Ein Versuch zur Geschichte der Frau in der Medizin und Pharmazie unter Bezugnahme auf die Zukunft der modernen Ärztinnen und Apothekerinnen. Leipzig 1900.
  5.  Moebius P: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 9th edition, Halle a. d. S. 1908.
  6. Brinkschulte E (ed.): Weibliche Ärzte. Berlin 1993.
  7. Obschernitzki D: Der Frau ihre Arbeit! Lette-Verein: zur Geschichte einer Berliner Institution 1866–1986. Berlin 1987.
  8. Zahn L: Wie 1896 in Berlin alles anfing. MTA Dialog, 11/2016.
  9. Kundt M: Die Technische Assistentin an medizinischen Instituten. Stuttgart: Verlag von Ferdinand Enke, 1928.
  10. Busch U: Frauen in der Radiologie. Röntgenpraxis 1997; 50: 268–75.
  11. Walther KM (ed.): Ein Leben mit Röntgenstrahlen. Röntgenschwester Leonie Moser und ihre Lebenserinnerungen. Selbstverlag. Mittwalddruck Espelkamp 1967.
  12. Leppin B: Aus kleine Mitteilungen. Wirkung der Röntgenstrahlen auf die Haut. DMW 1896; 28: 454.
  13. Thomson E: Roentgen rays act strongly on the tissues. Elect Engineer Nov. 25, 1896; 22: 534.
  14. Fuchs W: Simple recommendations on how to avoid radiation harm. Western Electrician 1896; 12 (12. Dezember 1896).
  15. Rollings W: X-light can kill animals. Boston Medical and Surgical Journal 1901; 144: 173 (14. Februar 1901).
  16. Molineus W, Holthusen H, Meyer H (ed.): Ehrenbuch der Radiologen aller Nationen. Berlin 1992.

Entnommen aus MTA Dialog 11/2020

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