Fäkaler-Mikrobiom-Transfer: Therapieoption bei Fettleibigkeit?

Neuartiger Umgang mit Übergewichtserkrankungen
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Forschung am UKB zu Adipositas
Forscher des UKB haben herausgefunden, dass positive Effekte der Adipositas-Chirurgie auf Übergewicht und den Glukosestoffwechsel über postoperative Veränderungen des Darmmikrobioms vermittelt werden. © Universitätsklinikum Bonn/A. Winkler
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Weltweit sind etwa 2 Milliarden Menschen von starkem Übergewicht und Adipositas betroffen. Die zielgerichtete Entwicklung neuartiger mikrobiombasierter Therapiekonzepte könnte helfen.

Adipositas hat in den letzten Jahrzehnten pandemische Ausmaße erreicht und begünstigt unter anderem die Entstehung von verschiedenen chronischen Stoffwechsel-, Herzkreislauf- und auch neurodegenerativen Erkrankungen. Doch es mangelt weiterhin an langfristig wirksamen Strategien zur Gewichtsreduktion. Operative Verfahren, die sogenannte bariatrische Chirurgie, stellen derzeit die einzige Behandlungsform dar, die langfristig nicht nur zu einem klinisch relevanten Gewichtsverlust, sondern auch zu einer deutlichen Verbesserung der Übergewichts-assoziierten Begleiterkrankungen und der damit verbundenen Sterblichkeit führt. Auf der anderen Seite sind diese Verfahren kostspielig, invasiv und irreversibel, und kommen deshalb für viele Patienten nicht in Frage.

Postoperative Veränderungen des Darmmikrobioms

Forscherinnen und Forscher des Uniklinikums Bonn (UKB) haben nun im Tierversuch herausgefunden, dass positive Effekte der Adipositas-Chirurgie auf Übergewicht und den Glukosestoffwechsel über postoperative Veränderungen des Darmmikrobioms vermittelt werden. Die veränderte Stoffwechselaktivität von spezifischen Bakterienclustern steigert im Kleintiermodell den Energieverbrauch des braunen Fettgewebes. Das Hauptziel des Forschungsvorhabens soll es sein, diesen Therapieeffekt in Zukunft auch über konservative Behandlungsmaßnahmen abbilden zu können.

Auf non-invasive Weise aktivieren?

Doch wie genau werden die positiven Effekte der Operation auf Stoffwechselfunktion und Körpergewichts-Regulation vermittelt, und ist es möglich, diese auch auf non-invasive Weise zu aktivieren? Damit hat sich ein Team von Forscherinnen und Forschern des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und verschiedenen weiteren Institutionen beschäftigt. Neben Prof. Wiebke Fenske und ihrer Laborgruppe waren mit Prof. Alexander Pfeifer und Dr. Thorsten Gnad (beide aus dem Institut für Pharmakologie und Toxikologie am UKB) noch weitere Bonner Forscher an der Studie beteiligt. Konkret interessierte das Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Frage, inwieweit Veränderungen in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms nach der bariatrischen Operation in diese Mechanismen eingreifen.

Positive Auswirkungen über das Darmmikrobiom?

Dafür analysierten die Forscherinnen und Forscher zunächst im Tierversuch, wie sich die Dezimierung der Darmbakterien durch Antibiotika nach einer bariatrischen Operation auf den Organismus auswirkt. Durch die Abtötung der Darmbakterien konnten die positiven Effekte der Operation auf Übergewicht und verbesserte Stoffwechselfunktion nahezu komplett verhindert werden. „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die positiven Auswirkungen der bariatrischen Operation auf den Systemstoffwechsel und die Gewichtsregulation über das Darmmikrobiom vermittelt werden“, fasst Prof. Fenske, Leiterin der Sektion Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechselmedizin und des neuen Adipositas- und Stoffwechselforschungszentrums (BiOM) am UKB, zusammen.

Verbesserung des Glukosestoffwechsels und Reduktion des Übergewichts

Im nächsten Schritt wurde das Darmmikrobiom vor und nach der bariatrischen Operation in ein adipöses, nicht-operiertes Tiermodell transplantiert. „So konnten wir den inhärenten Effekt des operativ-geprägten Darmmikrobioms auf den Systemstoffwechsel bei Adipositas ermitteln“, erläutert Prof. Fenske. Der Transfer von lebenden Darmbakterien nach bariatrischer Operation führte zu einer deutlichen Verbesserung des Glukosestoffwechsels und Reduktion des Übergewichts der adipösen Empfängertiere. Ähnlich wie nach der Operation, waren diese Effekte eng gekoppelt an einen gesteigerten Energieverbrauch des braunen Fettgewebes, das überschüssiges Fett zur Wärmegewinnung nutzt und somit Fettreserven abbaut.

Signalweg zwischen Darmmikrobiom und Fettgewebe

Auf der Suche nach zugrundeliegenden molekularen Prozessen konnten die Forscher einen neuen systemischen Signalweg zwischen Darmmikrobiom und Fettgewebe identifizieren. Dieser wird infolge der rekonstruierten Nahrungspassage nach bariatrischer Operation aktiviert. Eine wichtige Rolle scheint in diesem Zusammenhang die Aktivierung zweier Signalmoleküle, der sogenannten Gallensäure-Rezeptoren TGR5 und FXR im Darm und braunen Fettgewebe zu spielen. Durch veränderte mikrobielle Stoffwechselprodukte (spezifisch veränderte Gallensäure-Moleküle) wird über diese molekularen „Antennen“ ein biochemisches Signal an die Zellen im Verdauungstrakt und in stoffwechselaktiven Geweben weitergegeben, sodass der systemische Organismus in konzertierter Weise seinen Stoffwechsel anpasst.

Zielgerichtete Entwicklung neuartiger mikrobiombasierter Therapiekonzepte

Somit konnte das Forscherteam um Prof. Fenske die positiven Effekte des Mikrobiota-Transfers auf einen relativ einfachen molekularen Regelkreis zurückführen. Die Studie, die maßgeblich zur Akzeptanz der Mikrobiom-Modulation als eine Behandlungsstrategie von metabolischen Erkrankungen beitragen könnte, wurde kürzlich veröffentlicht. PD Dr. Andreas Till, Laborleiter der Medizinischen Klinik I am Uniklinikum und Co-Autor der Studie, ergänzte: „Sobald wir die molekularen und zellulären Prozesse des komplexen Zusammenspiels zwischen Mikrobiom, zentralem Nervensystem und Hormon-Haushalt besser verstehen, die zum Erfolg der bariatrischen Chirurgie beitragen, hilft uns dies bei der zielgerichteten Entwicklung neuartiger mikrobiombasierter Therapiekonzepte für die Behandlung von Adipositas und assoziierter Stoffwechselerkrankungen.“

Transfer des fäkalen Mikrobioms

Ein in diesem Zusammenhang erstaunlicher Befund der aktuellen Studie sei gewesen, dass die gesundheitsförderlichen Prozesse der Operation durch den Transfer des fäkalen Mikrobioms auf ein metabolisch krankes, übergewichtiges Tier übertragen werden konnten. „Inwieweit diese Prozesse auch bei unseren Patienten und Patientinnen wirksam sind, untersuchen wir gerade gemeinsam mit Kollegen der Universität Graz in einer ersten randomisierten, doppelt verblindeten klinischen FMT-Studie mit adipösen Patienten“, erklärt Prof. Fenske. Diese spannende klinische Studie wurde von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) bewilligt und wird über die nächsten drei Jahre gefördert. Es bleibt abzuwarten, ob die erfolgversprechenden Vordaten aus dem Tierversuch sich auch am Menschen bestätigen lassen.

Neuartiges Forschungs- und Behandlungszentrum

Die Forscherinnen und Forscher um Prof. Fenske haben erst kürzlich zusammen mit PD Dr. Philip Lingohr und seinem Team ein neuartiges Forschungs- und Behandlungszentrum etabliert: Im Adipositas- und Stoffwechselzentrum am Universitätsklinikum Bonn (BiOM) wird Patientinnen und Patienten mit Adipositas und Folgeerkrankungen eine ganzheitliche Behandlung angeboten, außerdem werden in diesem Zentrum neue, erfolgversprechende Therapien (wie der oben beschriebene Mikrobiomtransfer) erforscht.

Der Link zum Adipositas- und Stoffwechselzentrum am UKB (BiOM): https://www.ukbonn.de/adipositas-und-stoffwechselzentrum/

Literatur:
Münzker J, Haase N, Till A, et al.: Functional changes of the gastric bypass microbiota reactivate thermogenic adipose tissue and systemic glucose control via intestinal FXR-TGR5 crosstalk in diet-induced obesity. Microbiome 10, 96 (2022), DOI: doi.org/10.1186/s40168-022-01264-5.

Quelle: UKB

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