Eingruppierung einer MTRA

Urteil des Bundesarbeitsgerichts
Elske Müller-Rawlins
Eingruppierung MTRA
Eingruppierung MTRA istock/Ekachai Lohacamonchai
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Die Gerichte dürfen Tarifnormen nicht wegen neuer technischer Entwicklungen einengend oder ausdehnend auslegen, wenn Wortlaut und Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung hierfür keine Möglichkeit bieten. Andernfalls würden die Gerichte in unzulässiger Weise in die durch das Grundgesetz geschützte Tarifautonomie eingreifen. (Orientierungssatz des Gerichts; BAG, Urteil vom 16. März 2016 – BAG Aktenzeichen 4 AZR 502/149

Was war passiert?

Eine MTRA stritt mit ihrem Arbeitgeber über die zutreffende Eingruppierung und die sich daraus ergebenden Entgeltdifferenzansprüche seit März 2011. Die MTRA ist seit 2007 im Klinikum der Beklagten als MTRA tätig. Sie wurde nach der VergGr. VI b Fallgruppe 26 der Anlage 1a zum BAT-O vergütet. Seit dem 1. März 2011 galt der Haustarifvertrag, der rückwirkend zum 1. Januar 2011 in Kraft trat. Seither erhält die MTRA eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 6 Stufe 3 gemäß der Entgelttabelle zum Haustarifvertrag.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2011 bat die MTRA um Überprüfung ihrer Eingruppierung in die Entgeltgruppe 8.

Die maßgebenden Tarifnormen der Anlage 1a zum BAT-O lauten:

„Vergütungsgruppe VII

27. Medizinisch-technische Assistentinnen während der ersten sechs Monate der Berufsausübung nach erlangter staatlicher Erlaubnis.

Vergütungsgruppe VIb

26. Medizinisch-technische Assistentinnen mit entsprechender Tätigkeit, die in nicht unerheblichem Umfange schwierige Aufgaben erfüllen. (,Schwierige Aufgaben‘ sind zum Beispiel der Diagnostik vorausgehende technische Arbeiten bei überwiegend selbstständiger Verfahrenswahl auf histologischem, mikrobiologischem, serologischem und quantitativ klinisch-chemischem Gebiet; ferner schwierige röntgenologische Untersuchungsverfahren, insbesondere zur röntgenologischen Funktionsdiagnostik, messtechnische Aufgaben und Hilfeleistung bei der Verwendung von radioaktiven Stoffen sowie schwierige medizinisch-fotografische Verfahren.)
(Hierzu Protokollerklärung Nr. 12)

27. Medizinisch-technische Assistentinnen mit entsprechender Tätigkeit nach sechsmonatiger Berufsausübung nach erlangter staatlicher Erlaubnis.

Vergütungsgruppe Vc

24. Medizinisch-technische Assistentinnen mit entsprechender Tätigkeit nach sechsmonatiger Berufsausübung nach erlangter staatlicher Erlaubnis, die in nicht unerheblichem Umfange eine oder mehrere der folgenden Aufgaben erfüllen:

Mitwirkung bei Schichtaufnahmen in den drei Dimensionen mit Spezialgeräten, ... (Hierzu Protokollerklärung Nr. 12)

26. Medizinisch-technische Assistentinnen mit entsprechender Tätigkeit nach sechsjähriger Bewährung in dieser Tätigkeit.
(Protokollerklärung Nr. 12)
Der Umfang der schwierigen Aufgaben beziehungsweise der Tätigkeiten ist nicht mehr unerheblich, wenn er etwa ein Viertel der gesamten Tätigkeit ausmacht.“

Das Landesarbeitsgericht wies die Klage ab.

Wie entschied das Bundesarbeitsgericht?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sah die Klage als insoweit begründet an, als das Vorliegen des Merkmals „Mitwirkung bei Schichtaufnahmen in den drei Dimensionen mit Spezialgeräten“ der VergGr. Vc Fallgruppe 24 der Anlage 1a zum BAT-O als gegeben anzusehen ist, wenn die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum zeitlich zu „etwa einem Viertel“ ihrer Gesamtarbeitszeit eine Tätigkeit ausgeübt hat, die die genannten Anforderungen aus VergGr. Vc Fallgruppe 24 der Anlage 1a zum BAT-O erfüllt.

Als Begründung führte das Gericht aus:
„Der Computertomograph ist ein Spezialgerät zur Anfertigung von Schichtaufnahmen in den drei Dimensionen.

Der Tarifwortlaut bedarf der Auslegung (zu den Maßstäben etwa BAG 28. Januar 2009 – BAG Aktenzeichen 4 ABR 92/07 – Rn. 26 mwN, BAGE Band 129 Seite 238). Ihm ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob der Begriff ,mit Spezialgeräten‘ eine selbstständige Tarifanforderung enthält. Nach allgemeinem Sprachverständnis handelt es sich bei einem ‚Spezialgerät‘ um ein Gerät, das sich durch besondere Merkmale von einem Standardgerät unterscheidet. Die geforderte Besonderheit des Geräts kann zum einen darin bestehen, dass mit ihm Schichtaufnahmen in den drei Dimensionen möglich sind. Das Standardgerät wäre in diesem Fall ein Gerät, mit dem lediglich normale zweischichtige Bildaufnahmen hergestellt werden können (etwa ein Röntgengerät). Zum anderen kann der Wortlaut auch dahingehend verstanden werden, dass die Mitwirkung bei Schichtaufnahmen in den drei Dimensionen nur dann nach VergGr. Vc Fallgruppe 24 der Anlage 1a zum BAT-O zu vergüten ist, wenn die Aufnahme nicht mit einem ‚Standard-Dreischicht-Gerät‘, sondern mit einem ,Spezial-Dreischicht-Gerät’ erfolgt.

Maßgebend für die Auslegung des Tätigkeitsmerkmals sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Einführung der fraglichen Tätigkeitsmerkmale im Jahr 1971, da die Tarifvertragsparteien nur diese bei dessen Formulierung berücksichtigen konnten (vgl. BAG 6. Dezember 2006 – BAG Aktenzeichen 4 AZR 659/05 – Rn. 23, BAGE 120, BAGE Band 120 Seite 269). Im betreffenden Zeitpunkt war das Standardgerät das normale Röntgengerät, mit dem Aufnahmen lediglich in zwei Schichten möglich waren. Von diesem ist das ,Spezialgerät‘ im Sinne von Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 24 der Anlage 1a zum BAT-O abzugrenzen.

Das Landesarbeitsgericht hat seinen Erwägungen den von den Parteien nicht infrage gestellten Umstand zugrunde gelegt, dass im Jahr 1971 für Aufnahmen in drei Schichten mittels der damals praktizierten ‚Verwischungstomographie‘ modifizierte Standardröntgenanlagen notwendig waren. Erst durch diese Zusatzausstattung, die es ermöglichte, den Röntgendetektor und die Röntgenröhre synchron zu bewegen, konnten Aufnahmen in mehr als zwei Schichten hergestellt werden. Wenn es danach zum maßgebenden Zeitpunkt technisch nur eine Möglichkeit gab, Dreischichtaufnahmen zu erzeugen, kam dem Begriff des ‚Spezialgeräts‘ keine eigenständige Bedeutung gegenüber der Anforderung der ,Mitwirkung bei Schichtaufnahmen in den drei Dimensionen‘ zu.

Hatte danach der Begriff des ,Spezialgeräts‘ bei Einführung des Tätigkeitsmerkmals keine eigenständige Bedeutung, kann diesem auch heute kein selbstständiger Anforderungsgehalt beigemessen werden. Die Gerichte dürfen Tarifnormen nicht wegen neuer technischer Entwicklungen einengend oder ausdehnend auslegen, wenn Wortlaut und Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung hierfür keine Möglichkeit bieten. Andernfalls würden die Gerichte in unzulässiger Weise in die durch das Grundgesetz geschützte Tarifautonomie (Art. GG Art.l 9 Abs. GG Art. 9 Abs. 3 GG) eingreifen (BAG 6. Dezember 2006 – BAG Aktenzeichen 4 AZR 659/05 – Rn. 25, BAGE 120, BAGE Band 120 Seite 269).

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist es deshalb unerheblich, dass aus heutiger Sicht Computertomographen sich nicht mehr aus dem allgemeinen Gerätestandard herausheben und es mehrere technische Möglichkeiten zur Anfertigung von Dreischichtaufnahmen gibt, von denen einige allgemein üblich (,Standardgerät‘) und andere spezieller (,Spezialgerät‘) sein mögen.

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. Vc Fallgruppe 24 der Anlage 1a zum BAT-O nicht erst dann erfüllt, wenn die dritte Ebene der Aufnahme von dem Arbeitnehmer selbst und nicht – wie bei der Computertomographie – dem Gerät erstellt wird (so Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT VergO VKA Stand August 2008 Teil II VKA Med. Hilfsberufe Anm. 31a). Das Tätigkeitsmerkmal verlangt ausdrücklich nur eine ,Mitwirkung‘ bei einer Aufnahme in drei Schichten, nicht hingegen die eigenständige Herstellung einer Schicht mittels eines manuellen Arbeitsschritts.

Der Beschluss des Gruppenausschusses der VKA für Kranken- und Pflegeanstalten aus der Sitzung vom 10. Dezember 1979 vermag die Herausnahme der Computertomographie aus dem Anwendungsbereich von VergGr. Vc Fallgruppe 24 der Anlage 1a zum BAT-O nicht zu begründen. Abgesehen davon, dass ein solcher Beschluss nicht einmal für die Mitglieder der VKA unmittelbare Bedeutung hat (vgl. BAG 25. September 1996 – BAG Aktenzeichen 4 AZR 189/95 – zu B 1 der Gründe), handelt es sich bei dem Gruppenausschuss um ein Gremium lediglich einer Tarifvertragspartei. Seine Erwägungen lassen deshalb keine Rückschlüsse auf den gemeinsamen Willen der Tarifvertragsparteien bei Abschluss des Tarifvertrags zu.

Der Rechtsstreit ist hinsichtlich der Hilfsanträge noch nicht entscheidungsreif. Aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat nicht beurteilen, ob die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum zeitlich zu „etwa einem Viertel“ ihrer Gesamtarbeitszeit eine Tätigkeit auszuüben hat, die die genannten Anforderungen aus VergGr. Vc Fallgruppe 24 der Anlage 1a zum BAT-O erfüllt.“

Das Landesarbeitsgericht hat den genauen Inhalt der von der Klägerin zu verrichtenden Tätigkeit nach Zeitanteilen weiter unter Berücksichtigung der nachstehenden Grundsätze nachzuholen:

„In einem ersten Schritt wird es die Arbeitsvorgänge zu bestimmen haben.
Maßgebend für die Bestimmung eines Arbeitsvorgangs ist das Arbeitsergebnis (st. Rspr, z. B. BAG 13. Mai 2015 – BAG Aktenzeichen 4 AZR 355/13 – Rn. 16; 21. August 2013 – BAG Aktenzeichen 4 AZR 933/11 – Rn. 13 mwN, BAGE 146, BAGE Band 146 Seite 22). Die tarifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte bleibt dabei zunächst außer Betracht. Erst nachdem die Bestimmung des Arbeitsvorgangs erfolgt ist, ist dieser anhand der in Betracht kommenden Tätigkeitsmerkmale zu bewerten (BAG 18. März 2015 – BAG Aktenzeichen 4 AZR 59/13 – Rn. 17, BAGE 151, BAGE Band 151 Seite 150; 6. Juli 2011 – BAG Aktenzeichen 4 AZR 568/09 – Rn. 58).

Bei der Zuordnung zu einem Arbeitsvorgang können wiederkehrende und gleichartige Tätigkeiten zusammengefasst werden. Dabei kann die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Einzeltätigkeiten können jedoch dann nicht zusammengefasst werden, wenn die verschiedenen Arbeitsschritte von vornherein organisatorisch voneinander getrennt sind. Dafür reicht die theoretische Möglichkeit nicht aus, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben verwaltungstechnisch isoliert auf andere Beschäftigte übertragen zu können, solange sie nach der tatsächlichen Arbeitsorganisation des Arbeitgebers als einheitliche Arbeitsaufgabe einer Person real übertragen sind (st. Rspr., z. B. BAG 13. Mai 2015 – BAG Aktenzeichen 4 AZR 355/13 – Rn. 16; grdl. 23. September 2009 – BAG Aktenzeichen 4 AZR 308/08 – Rn. 20 mwN).

In einem zweiten Schritt wird zu ermitteln sein, ob die Klägerin an Tätigkeiten ,bei Schichtaufnahmen in den drei Dimensionen mit Spezialgeräten’ im tariflich ausreichendem Maße mitwirkt. Nach der Protokollerklärung Nr. 12 zu VergGr. Vc der Anlage 1a zum BAT-O ist dies der Fall, wenn der Umfang der betreffenden Aufgaben etwa ein Viertel der gesamten Tätigkeit ausmacht. Abzustellen ist dabei auf den Anteil der diese Aufgaben – in rechtlich relevantem Umfang (st. Rspr., sh. z. B. BAG 21. März 2012 – BAG Aktenzeichen 4 AZR 266/10 – Rn. 43 mwN) – enthaltenden Arbeitsvorgänge an der Gesamtarbeitszeit (vgl. BAG 19. März 1986 – BAG Aktenzeichen 4 AZR 642/84 – zu 6 der Gründe, BAGE 51, BAGE Band 51 Seite 282).

Sollte das Landesarbeitsgericht grundsätzlich einen Anspruch der Klägerin bejahen, wird es ferner die Einhaltung der tariflichen Ausschlussfrist des § 32 TV KC/ver.di näher prüfen müssen.“

Elske Müller-Rawlins, Rechtsanwältin
Kanzlei HMR

Entnommen aus MTA Dialog 9/2016

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