Die Entwicklung der Epigenetik

Historisches
Heike Schwardt-Conradt
Die Entwicklung der Epigenetik
© Andrea Danti – stock.adobe.com
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Epigenetik ist der Teil der Biologie, der sich mit der erblichen genetischen Modifikation mit Wirkung auf den Phänotyp ohne Änderung der DNA-Sequenz beschäftigt.

1. Das Genom

Der Begriff Genom beschreibt das Erbgut eines Lebewesens. Hier werden alle Informationen in der Desoxyribonukleinsäure (DNA) gespeichert. Die DNA setzt sich aus den folgenden Basenpaaren zusammen: A Adenin, C Cytosin, T Thymin und G Guanin. Die DNA wird sozusagen durch die Basen kodiert.

Vor der Betrachtung der Epigenetik war man davon ausgegangen, dass ausschließlich die DNA-Sequenzen für die Vererbung verantwortlich sind. Grundsätzlich stimmt das auch. Diese vier Basen sind für die genetische Information eines Organismus verantwortlich. Die DNA ist im Gegensatz zur einsträngigen RNA (maßgebliche Rolle bei der Proteinbiosynthese) doppelsträngig. Die Struktur der DNA, die im Jahr 1953 von den Wissenschaftlern James Watson und Francis Crick entdeckt wurde, entspricht einer Doppelhelix. Durch die epigenetische Forschung wissen wir heute jedoch, dass auch weitere Merkmale vererbt werden. Dazu zählen vor allem die Informationen, die die Aktivität von Genen bestimmen, also zu welchem Zeitpunkt, in welchen Zellen und auch in welcher Intensität die Gene abgelesen werden.

2. Die klassische Genetik

Die klassische Genetik wurde begründet durch den Augustinermönch Gregor Mendel (1822–1884). Bei einem Experiment mit Erbsen fand Gregor Mendel heraus, dass die Anlagen zur Ausbildung bestimmter äußerer Merkmale (Phänotyp) an die Nachkommen vererbt werden. In seinen Experimenten verwendete er ganz gezielt Merkmale, die komplett verschieden waren. Er nahm große oder kleine, grüne oder gelbe Erbsensamen. Mendel arbeitete nur mit Merkmalen, die sich autosomal dominant vererben lassen und nicht geschlechtsspezifisch sind. Welche Erbmerkmale sich nun durchsetzen, hängt davon ab, welches Merkmal hiervon dominant (Merkmal bestimmend) und welches rezessiv (Merkmal unterlegen) ist.

Neben Gregor Mendel gab es noch viele weitere Personen, die an der Erforschung der Genetik/Epigenetik beteiligt waren. So nahm der französische Biologe Jean-Baptiste de Lamarck (1744–1829) an, dass es einen „Mechanismus“ geben müsse, der Eigenschaften und Fähigkeiten von einer Generation auf die nächste Generation übertragen kann. Er nahm an, dass dieser Mechanismus nicht nur Fähigkeiten vererbt, sondern auch in der Lage ist, sich dadurch der Umwelt anzupassen und somit für die Weiterentwicklung von Spezies sorgt.

30 Jahre später stellte Charles Darwin (1809–1882) eine neue Theorie auf. Im Jahr 1859 veröffentlichte er sein Werk „Über die Entstehung der Arten“. In diesem Buch berichtete er von seinen Beobachtungen, dass sich Lebewesen an ihren Lebensraum anpassen und sich dementsprechend verändern, je nachdem, wie sich ihre Umwelt verändert. Darwins Theorie bestätigte sich, als Mutationen im Genom entdeckt wurden, die rein zufällig vererbt wurden. Damit schien Lamarcks Theorie widerlegt zu sein. Heute weiß man, dass alle drei Theorien von Mendel, de Lamarck und Darwin der Wahrheit entsprechen.

Es werden sowohl die Eigenschaften und Fähigkeiten von Generation zu Generation übertragen, aber darüber hinaus haben auch die Umwelt und die Umgebung einen großen Einfluss auf das Genom. Hätte Gregor Mendel anstelle der Erbse eine andere Pflanze für seine Experimente gewählt, wäre er zu ganz anderen Schlüssen gekommen. Da er ausschließlich mit dominanten „Spezies“ arbeitete, waren auch seine Ergebnisse „dominant“.

Wenn neues Leben entsteht, werden alle Erbanlagen von Mutter und Vater auf das Kind übertragen. Das Kind erbt sozusagen alles, was ihm seine Eltern genetisch übertragen. Welche Begabungen, Abneigungen, äußeren Merkmale oder Vorlieben hieraus entstehen, ist allerdings dem Zufall überlassen. Als Beispiel dient die Augenfarbe des Menschen. Diese wird von mehr als einer Erbanlage bestimmt, und die Kombination der Erbanlagen ist für die Ausprägung der Augenfarbe entscheidend.

Abb. 1: Ausschnitt von 20 Basenpaaren aus der DNA-Doppelhelix | © Created by Michael Ströck, CC BY-SA 3.0, wikimedia

3. Epigenetik

Der Begriff Epigenetik ist zusammengesetzt aus den Wörtern Genetik und Epigenese (Entwicklung eines Lebewesens). Man bezeichnet sie auch als Bindeglied zwischen den Erbanlagen und den Umwelteinflüssen, denen ein Lebewesen ausgesetzt ist.

Die Aktivität unserer Gene (Genexpression) wird durch epigenetische Mechanismen gesteuert. Inwiefern sie auch bei der Evolution des Menschen eine Rolle spielen oder bei der Entwicklung von Lebewesen, ist Gegenstand der Forschung. Ebenso sind sie aber auch dafür verantwortlich, ob bei dem Organismus Krankheiten entstehen und wenn ja, wie diese verlaufen. Die Epigenetik hilft uns zu verstehen, wie Lebensbedingungen und Lebensstil unsere Entwicklung, unsere Gesundheit und die Anfälligkeit für Krankheiten beeinflussen und wie es möglich sein kann, dass eventuell auch erworbene Eigenschaften an die Nachkommen weitervererbt werden können. Die Epigenetik ist definiert als die vererbbare Veränderung der Genaktivität ohne eine Veränderung der Abfolge der DNA-Sequenz (Arthur Riggs). Erst mithilfe der modernen Methoden der Molekularbiologie konnten die epigenetischen Phänomene entschlüsselt werden.

Die Epigenetik dominiert über die Mendel‘sche Theorie und beweist, dass selbst Lebewesen mit identischen Allelen (beispielsweise eineiige Zwillinge) unterschiedliche Phänotypen besitzen. Der Unterschied liegt nicht in der DNA-Sequenz. Diese ist bei eineiigen Zwillingen identisch. Vielmehr befinden sich an bestimmten Stellen der DNA winzige chemische Anhängsel in Form von Methylgruppen an den Cytosinresten. Diese Methylgruppen können dafür sorgen, dass manche Gene „ab-“ oder „an-“geschaltet werden. Bereits 1975 entdeckten Robin Holliday und Arthur Riggs unabhängig voneinander, dass chemische Veränderungen der DNA durch das Hinzufügen dieser kleinen Moleküle (sogenannte Methylgruppen), die Aktivität von Genen kontrollieren können.

Einige epigenetische Effekte sind natürlich und auch notwendig. Sie kontrollieren das Verhalten und Aussehen verschiedener Zellen wie zum Beispiel Hautzellen oder Herzmuskelzellen. Die Mechanismen dienen dazu, dass die Zellen so funktionieren, wie wir sie als menschlicher Organismus benötigen. Es kann allerdings auch zu Mutationen in den Methylgruppen kommen. Wenn dies der Fall ist, entstehen Fehlfunktionen in den einzelnen Organen und im schlimmsten Fall kann es zu Krebs kommen. Die Epigenetik ist also der Teil der Genforschung, der untersucht, wie der genetische Code durch das Alter, die Umwelt und viele andere Dinge beeinflusst werden kann.

Es wird angenommen, dass bereits in der Schwangerschaft die ersten Weichen gestellt werden. Ob und wie gesund die Mutter sich ernährt, ob sie raucht und auch wie ihr Lebensstil ist. Mittlerweile geht man sogar davon aus, dass die perinatale Prägung bereits drei Monate vor der Zeugung beginnt.

Des Weiteren hat auch das Sperma des Kindsvaters Einfluss auf die epigenetische Prägung des neuen Lebewesens. Spermien benötigen etwa zwei Monate für die Reifung im Hoden. Neben den Genen enthält die Molekularbiologie menschlicher Samenzellen auch Informationen über den Lebensstil und Verhaltensweisen der vergangenen drei Monate. Bevor überhaupt Leben durch Zeugung entsteht, haben somit die Umwelt- und Lebenseinflüsse Auswirkungen auf die Prägung des Genoms.

Beispiel eines Krankheitsbildes – Nierenerkrankungen

Zystennieren (ADPKD) sind eine vererbbare Nierenerkrankung. Bisher konnten nur die Symptome und deren Begleiterkrankungen behandelt werden. ADPKD ist erblich und wird autosomal-dominant vererbt. Es betrifft beide Geschlechter gleichermaßen. Wenn ein Elternteil von dieser Erkrankung betroffen ist, besteht eine 50 : 50-Wahrscheinlichkeit, dass das Kind ebenso erkrankt. Mittlerweile ist die Medizin so weit, dass man weiß, dass etwa 85 % dieser genetischen Veränderung auf dem Chromosom 16 liegen. Dieses veränderte Gen bewirkt, dass sich in den Nieren kugelförmige, mit Flüssigkeit gefüllte Zysten bilden. Diese Zysten wachsen und vermehren sich. Ebenso können sie auch in anderen Organen vorkommen oder auch streuen. Die Erkrankung führt in den meisten Fällen zu Nierenversagen. Letztlich muss dem Patienten die Niere entnommen werden. Symptome, die auf Zystennieren hinweisen, sind Hypertonie, Hämaturie und rezidivierender Harnwegsinfekt. Eine sichere Diagnose ist nur mittels MRT möglich.

Literatur

1.    Lehnert H, Kirchner H, Dahm R, Kirmes I: Epigenetik, Grundlagen und klinische Bedeutung. Aus der Vortragsreihe der medizinischen Gesellschaft Mainz e. V., Springer Verlag 2018.
2.    Spork P: Gesundheit ist kein Zufall. 4th edition. DVA Verlag 2017.
3.    Bauer J: Das Gedächtnis des Körpers – wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern. 8th edition. Piper Verlag 2018.
4.    Robinson TR: Genetik für Dummies. 3rd edition. WILEY-VCH Verlag 2017.
5.    Lives of the great Scientists – Charles Darwin, series 708, publishers: ladybird books Ltd, loughborough 1973.

Entnommen aus MTA Dialog 5/2020

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