Der Physiker und Chemiker Georg von Hevesy (1885–1966)

Vater der Nuklearmedizin und Entdecker des Elements Hafnium
Christof Goddemeier
Der Physiker und Chemiker Georg von Hevesy (1885–1966)
Bunsen-Tagung, Mai 1928 in München (Hevesy Mitte rechts mit Hut) © GFHund, Foto aus Nachlass von Friedrich Hund im Besitz von Gerhard Hund, für Wikipedia im August 2010 bearbeitet, eigenes Werk, CC BY 3.0, wikimedia
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Den Nobelpreis erhielt Georg von Hevesy nicht für seine Entdeckung des Hafniums, sondern „für seine Arbeiten über die Anwendung der Isotope als Indikatoren bei der Erforschung chemischer Prozesse“.

1913 präsentierte der Däne Niels Bohr ein neues Atommodell. Im gleichen Jahr hatte Hevesy die Idee, ein radioaktives Element als Indikator für ein chemisch ähnliches Element zu verwenden. Schon vorher hatte er versucht, Radium D von Blei zu trennen – Radium D ist, wie man heute weiß, ein Isotop des Bleis. Das gelang zwar nicht, doch in einem Brief aus Budapest an den Kollegen und Freund Fritz Paneth schrieb Hevesy am 3. Januar 1913: „(. . .) möchte ich Ihnen folgendes vorschlagen: Da sich RaD vom Blei nicht trennen lässt, können wir RaD als Indikator des Bleis nehmen und zum Beispiel die Löslichkeit des PbCrO4 in Wasser bei verschiedenen Temperaturen untersuchen.“ Die Geburtsstunde der Indikatormethode war eingeleitet. Viele Jahre später verbreitete sich die Isotopentechnik in der Medizin, in den Sechzigerjahren richtete man in den meisten großen Kliniken spezielle Abteilungen für Nuklearmedizin ein. Dabei bildeten Hevesys Arbeiten mit Phosphor-32 die Grundlage für die Skelettszintigrafie. Heute wird sie mit Phosphaten durchgeführt, die mit Technetium-99m markiert sind. Jod-131 wird in der Diagnostik und Behandlung von Erkrankungen der Schilddrüse eingesetzt. Hevesys Studien mit radioaktiv markierten Nukleinsäuren lieferten wertvolle Informationen bei der Bestimmung des Wachstums von Tumorzellen. Dabei spiegelt die Nuklearmedizin als interdisziplinäre Zusammenarbeit von Medizin, Biologie, Chemie, Pharmazie und Physik auch Hevesys breites Interesse an den Naturwissenschaften wider.

Georg von Hevesy | © Unbekannt, wwwt.oeaw.ac.at/smi/photo.htm, gemeinfrei, wikimedia en 24.8.2019

1885 wurde Georg von Hevesy als fünfter Sohn in eine Budapester Familie geboren, ihm folgten noch drei Töchter. Sein Vater war Generaldirektor der Bergbau- und Hüttengesellschaft Nordungarns, Mitglied verschiedener Aufsichtsräte und verwaltete den Landsitz der Familie und die Güter der Familie seiner Frau. Beide Elternteile entstammten jüdischen Familien, die schon lange in Ungarn lebten und zu Beginn des 19. Jahrhunderts einigen Wohlstand erworben hatten. Georg besuchte das Budapester Piaristengymnasium. Hier legte man Wert auf eine fundierte naturwissenschaftliche Ausbildung, einige Lehrer waren auch Professoren an Universitäten des Landes.

1903 begann Hevesy ein Physikstudium in Budapest, ein Jahr später setzte er seine Studien an der Technischen Hochschule in Berlin fort. Hier interessierte er sich vor allem für Chemie. 1905 ging er nach Freiburg, einige seiner Brüder hatten bereits dort studiert. Das angenehme Klima des Rheintals und die Nähe zum Schwarzwald sagten ihm zu, Hevesy belegte Physik als Hauptfach sowie Chemie und Mathematik als Nebenfächer. Zudem besuchte er Vorlesungen in Philosophie und Biologie, etwa bei August Weismann, der als erster die Bedeutung der Keimzellen erkannte. Die Freiburger Universität besaß zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits einen Lehrstuhl für das neue Fach Physikalische Chemie, Georg Meyer hatte ihn inne. Hier kam Hevesy erstmals mit Radioaktivität in Berührung. Auf Anregung Meyers entstand Hevesys Dissertation über die Wechselwirkung von metallischem Natrium und geschmolzenem Natriumhydroxid („Über die schmelzelektrolytische Abscheidung der Alkalimetalle aus Ätzalkalien und die Löslichkeit dieser Metalle in der Schmelze“).

Während eines Jahres an der polytechnischen Schule in Zürich machte Hevesy die Bekanntschaft des damals noch unbekannten Albert Einstein, der 1909 nach Zürich berufen wurde. Er lernte Richard Willstätter kennen, der die Chemische Abteilung leitete und später den Nobelpreis für die Strukturaufklärung des Chlorophylls erhielt. Obwohl Willstätter ihn ermutigte, in Zürich zu bleiben, zog Hevesy weiter nach Karlsruhe zu Fritz Haber. Der arbeitete an der Synthese von Ammoniak, für die Hevesy sich ebenfalls interessierte. Mitglieder seiner Familie bewirtschafteten in Ungarn große Landflächen, und Hevesy wusste, wie wichtig die Herstellung von Dünger aus Luftstickstoff war. Doch die Zusammenarbeit mit Haber erwies sich nicht als produktiv. Dem Rat eines Bekannten folgend, bewarb Hevesy sich bei Ernest Rutherford in Manchester, um dort die Messung von Radioaktivität zu lernen. Rutherford stimmte zu, Hevesy war begeistert, doch wenige Stunden nach Beginn seiner Seereise auf die Britischen Inseln im Januar 1911 war er so seekrank, dass er sich nach seiner Ankunft erst einige Tage erholen musste.

1896 hatte der Physiker Henri Becquerel entdeckt, dass Uransalze Strahlen aussenden, die nicht zum Spektrum des sichtbaren Lichts gehören. Für die Entdeckung der Radioaktivität erhielt er 1903 zusammen mit Marie und Pierre Curie den Nobelpreis für Physik. Rutherford fand heraus, dass sich beim radioaktiven Zerfall einzelner Elemente ein Element in ein anderes umwandelt. Dabei sendet es Teilchen aus und gibt Energie ab. Die Ergebnisse von Streuexperimenten mit Alphastrahlen an Goldfolien interpretierte Rutherford dergestalt, dass er für jedes Atom einen winzigen positiv geladenen Kern und eine negative Hülle annahm. Damit begründete er die Kernphysik, 1908 erhielt er dafür den Nobelpreis für Chemie. In der folgenden Zeit beschäftigten sich zahlreiche Wissenschaftler mit dem Phänomen der Radioaktivität. Nach einem Jahr hatte Hevesy gelernt, was bisher in der Physik der Atome bekannt war. Er freundete sich mit Hans Geiger an, der mit Rutherford die bahnbrechenden Experimente durchführte, die zur Entdeckung des Atomkerns führten. Später erfand Geiger zusammen mit seinem Doktoranden Walther Müller das Geiger-Müller-Zählrohr („Geigerzähler“), mit dessen Hilfe Hevesy nach weiteren natürlichen Radioelementen forschte und die künstliche Radioaktivität untersuchte. Seine Ergebnisse publizierte er in sechs Artikeln, drei davon in der „Zeitschrift für Elektrochemie“, die von der Bunsengesellschaft herausgegeben wurde.

1912 stellte Hevesy seine Arbeiten bei deren Jahrestagung in Heidelberg vor. Hier sprach er zum ersten Mal davon, dass man radioaktive Elemente als Indikatoren für elektrochemische Prozesse nutzen könnte. Den Auftrag, Radium D von Blei zu trennen, erhielt Hevesy von Rutherford, denn der brauchte für seine Untersuchungen eine starke Quelle von Radium D: „Mein Junge, falls Du Dein Salz wert sein willst, dann wirst Du RaD von all dem überflüssigen Blei trennen.“ Nach einer Reihe von Versuchen musste Hevesy feststellen, dass ihm die Trennung nicht gelang. Doch statt zu verzagen, zog er aus dem Scheitern eine weitreichende Schlussfolgerung: Noch bevor die Existenz von Isotopen (= Elemente mit identischer Protonenzahl und unterschiedlicher Neutronenzahl im Kern) allgemein anerkannt war, sah er, dass radioaktive Isotope als Indikatoren geeignet sind – sein bedeutendster Beitrag zur Wissenschaft. In Manchester traf Hevesy den gleichaltrigen Niels Bohr, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. In langen Diskussionen entwickelten sie Rutherfords Atommodell weiter. Dabei erkannte Hevesy, ausgehend von Bohrs Modell, dass nicht die Massenzahl, das heißt das Atomgewicht, sondern die Ordnungszahl, das heißt die Kernladungszahl, für die chemischen Eigenschaften eines Elements verantwortlich ist. Frederick Soddy publizierte letztlich die wissenschaftlichen Ergebnisse zur Isotopie und prägte den Begriff. Dafür erhielt er 1922 den Nobelpreis für Chemie, im gleichen Jahr wurde Bohr für sein Schalenmodell der Elektronenhülle mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.

Vorsorglich hatte Hevesy seine Arbeiten auch in ungarischer Sprache verfasst. Damit habilitierte er sich 1913 an der Budapester Universität, seinen Habilitationsvortrag hielt er „Über den Aufbau des Atoms und die Eigenschaften der Elektronen“. Er erhielt die Venia Legendi und konnte nun Vorlesungen an der Universität halten. Doch der Erste Weltkrieg unterbrach seine Arbeit. Am 2. August 1914 schrieb der fassungslose Hevesy aus Scheveningen an Paneth: „Die Umwertung aller Werte ist eingetreten, wen interessiert es jetzt, ob die Isotope sich völlig vertreten oder nicht! Alles hängt davon ab, wie uns die Armee vertreten wird, ein ungeheuerlicher Gedanke (. . .).“ Anfangs konnten die beiden ihre Forschungen fortsetzen, und Hevesy publizierte in deutschen und österreichischen Zeitschriften. 1915 wurde er zum Heer eingezogen, sein Standort befand sich in der Nähe von Budapest. Doch den körperlichen Herausforderungen des Armeedienstes war Hevesy nicht gewachsen. Nachdem er bei einem Marsch zusammengebrochen und in ein Lazarett eingeliefert worden war, erklärte ein Arzt ihn für den aktiven Dienst für untauglich. Auf seinen Wunsch wurde er als Röntgengehilfe im Lazarett eingesetzt. Noch während des Krieges schrieb er mit Paneth ein Lehrbuch über Radioaktivität. Nach dem Krieg erhielt er den Lehrstuhl für Physikalische Chemie an der Budapester Universität. Doch mit dem Sturz der Räterepublik verlor er diese Stellung kurze Zeit später wieder, 1919 zog er erschöpft nach Kopenhagen. In einer Notiz zu seinem Atommodell hatte Bohr geschrieben, dass das fehlende Element Nummer 72 in der vierten Gruppe auf Titan und Zirkonium folge und ähnliche chemische Eigenschaften haben müsse. Weil das Element 72 sehr selten ist und nur zusammen mit Zirkoniumerz vorkommt, hatte man es bisher nicht entdeckt. Doch Hevesy hatte dafür bereits die Linien der Röntgenspektralanalyse berechnet. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dirk Coster gelang ihm die Extraktion aus Zirkoniumerz und die Anreicherung des neuen Elementes. „Wir haben das Element 72 erwischt“, schrieb Hevesy an Bohr, der sich gerade in Stockholm aufhielt, um den Nobelpreis in Empfang zu nehmen. Damit war zugleich Bohrs Atommodell experimentell bewiesen. Nach Hafnia, dem alten Namen für Kopenhagen, erhielt das neue Element den Namen Hafnium. Hevesy war nun ein gefragter Wissenschaftler und erhielt mehrere Angebote. Er entschied sich für Freiburg. 1923 lernte er in Montebello Pia Rijs kennen, die Tochter eines dänischen Reeders, ein Jahr später heirateten die beiden. Im Lauf der Jahre wurden vier Kinder geboren. 1933 sollte Hevesy wegen seiner jüdischen Abstammung aus dem Staatsdienst entlassen werden. Zwar setzte sich der Philosoph Martin Heidegger als Rektor der Freiburger Universität für ihn ein, doch Hevesy ging letztlich freiwillig und zog erneut nach Kopenhagen. Nach der Besetzung Dänemarks floh er 1943 nach Stockholm. Mehrfach wurde er für den Nobelpreis nominiert, 1944 nahm er ihn in Stockholm entgegen.

Die Verbindung nach Freiburg riss nicht ab, 1961 zog Hevesy, inzwischen schwedischer Staatsbürger, zurück in den Breisgau. Fünf Jahre später starb er dort, 2001 überführte man seine Gebeine nach Budapest und setzte sie auf dem Nationalfriedhof bei. Im Andenken an den Vater der Nuklearmedizin trägt die nuklearmedizinische Station der Freiburger Universitätsklinik seinen Namen. Und in der Freiburger Rosastraße erinnert ein Stolperstein an Georg von Hevesy und seine Frau Pia.

Literatur

1. Levi H: George de Hevesy – Life and Work. Kopenhagen: Rhodos Verlag 1985.
2. Niese S: Georg von Hevesy. Münster: Principal-Verlag 2009.
3. Schmider F: Die Lücke auf Platz 72, in: Badische Zeitung, 24.8.2019.

Entnommen aus MTA Dialog 4/2020

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