Das erste volldigitale Bildgebungsverfahren wird 50

Die Computertomografie prägte die „Genetik“ der Radiologie
Michael Reiter, Mirjam Bauer
Das erste volldigitale Bildgebungsverfahren wird 50
Abb. 1: Prof. Heinz-Peter Schlemmer am DKFZ © M. Reiter
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Sie ist ein Meilenstein der faszinierenden Entwicklung der Röntgentechnologie: die Computertomografie. Breit verfügbar, schnell und robust, bildet sie heute unter anderem das Rückgrat der onkologischen Diagnostik und der Entwicklung neuer Medikamente.

Mit Begeisterung spricht Prof. Heinz-Peter Schlemmer von der CT. Er ist Direktor der Abteilung Radiologie und Sprecher des Forschungsschwerpunktes Bildgebung und Radioonkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

CT ist das erste vollständig digitale Verfahren in der Medizin, unterstreicht Schlemmer: Während Röntgenstrahlen fotografisch visualisiert wurden – über einen Film, auf den Licht fällt und Körner schwärzt –, kommt bei der CT ein rein elektronischer Detektor zum Einsatz. Gemessen wird ein Stromsignal, dessen Stärke anhand von Zahlen registriert wird. Hierzu dienten Rechner, die zur Zeit der Erfindung des Physikers Godfrey Newbold Hounsfield in den 1970er-Jahren verfügbar wurden. So ließen sich Schnittbilder herstellen – „das war der Quantensprung!“, erläutert der Mediziner und Physiker enthusiastisch. In der Frühzeit fotografierte man die resultierenden Bilder noch ab, um sie zu betrachten – weil dies besser zu den damaligen Workflows der Radiologen passte.

Musik und CT

Bereits im August erschien in der MTA Dialog ein Artikel zum Vater des CT, Godfrey Newbold Hounsfield (Link: bit.ly/3nfRpvf). Besonders spannend ist die Finanzierung seiner Forschung: Unter anderem haben die erfolgreichen Beatles und EMI dazu beigetragen, dass das CT zügig entwickelt wurde. Die Plattenfirma EMI war in den 1960er-Jahren auch in der Forschung tätig. Durch zahlreiche Hits der Beatles und anderer Musiker wurden die Kassen des englischen Labels gut gefüllt und sicherten so das Budget für eine der wichtigsten Erfindungen in der Radiologie. Der bei EMI angestellte Ingenieur Hounsfield entwickelte in Zusammenarbeit mit dem Neuroradiologen James Ambrose vom Atkinson Morley’s Hospital in Wimbledon das computertomografische Röntgensystem mit dreidimensionalen, überlagerungsfreien Darstellungen. Allerdings musste Hounsfield in der Anfangszeit um die Finanzierung seines Projekts kämpfen; erst nach mehrmonatiger Überzeugungsarbeit erhielt er das Budget zum Bau eines Prototyps: nur ein Viertel der Summe, die er beantragt hatte. Damit vollbrachte er, laut des damaligen EMI-Forschungsleiters William E. Ingham, „ein Wunder mit sehr wenig Geld“. 1971 wurde der Prototyp im Atkinson Morley’s Hospital installiert und am 1. Oktober desselben Jahres die erste Patientenuntersuchung durchgeführt, mit der unschönen Diagnose Hirntumor. 1979 erhielt Hounsfield den Nobelpreis für Medizin.

Kickstarter für die Digitalisierung der Medizin

Radiologen wurden insbesondere durch die CT früh in die Computerwelt „hineingetrieben“, sagt Schlemmer – und sie entwickelten sich so zu Vorreitern in der Medizin bei neuen IT-basierten Potenzialen wie künstlicher Intelligenz. Er nennt ein Beispiel: Am DKFZ wurden im Kontext der CT die ersten Programme zur Bildnachbearbeitung erstellt. „Hat man Bilder in digitaler Form zur Verfügung, so werden umgehend Mathematiker, Informatiker aufmerksam. Sie hantieren mit diesen Zahlen – um Rauschen herauszurechnen, Konturen und Kontrast zu verstärken oder auch neuartige Informationen zu gewinnen, die sich mit dem Auge gar nicht erfassen lassen.“ So lassen sich digitale Bilder beispielsweise voneinander subtrahieren ... etwa bei unterschiedlichen Positionierungen oder bei unterschiedlichen Zeitpunkten nach Kontrastmittelgabe, um allein die kontrastmittelaufnehmenden Strukturen zu visualisieren. Solche Ansätze sind innerhalb eines Patientenfalls wie auch über Kohorten hinweg möglich. PACS & Co. folgten: Zu den Vorteilen zählt auch, was sich nach Erfindung der CT sukzessive für die anderen bildgebenden Verfahren durchgesetzt hat – die digitalen Bilder erfordern kein Nasslabor, erlauben eine sicherere, Fehler vermeidende Handhabung für die Betrachtung und ermöglichen eine deutliche Vereinfachung von Speicherung und Übermittlung.

Abb. 2: Schädelaufnahme, 1974 | © Siemens Healthineers

Kombination mit anderen Modalitäten

Modalitäten kombinieren, präzisere Diagnosen ermöglichen: PET/CT bestehe aus zwei Geräten, aus zwei Röhren in einer Verschalung, erläutert Schlemmer. Zuerst wird eine CT angefertigt, um Anatomie und die Schwächung der Röntgenstrahlung darzustellen, die man zur Berechnung der funktionellen PET-Gewebebilder benötigt: Wie dicht war das Gewebe, durch das die Strahlen sich bewegt haben?

Ein Erfolgsbeispiel ist PSMA – ein Molekül, das gespritzt wird, im Blut zirkuliert und auf der Oberfläche von Prostatakarzinomen kleben bleibt, dann internalisiert und gespeichert wird. Die „huckepack“ dem Molekül beigefügten Radiopharmaka lassen sich messen. Auch hier geht die technologische Entwicklung voran: Das neue Long-Field-of-View-PET (also deutlich vergrößertes Messfeld) am DKFZ ermöglicht Aufnahmen vom Kopf bis zum Beckenboden. Es ist schneller und empfindlicher – und zeigt so auch Regionen, die wenig Radiopharmaka angenommen haben.

Maßgeblicher Fortschritt

Der graduelle Fortschritt der Schnittbildtechnologie war bestimmt von besseren Röhren und Detektoren mit der Reduktion der Dosis, von der Erhöhung der räumlichen Auflösung und Vergrößerung des Field of View und schnelleren Rechnern für die Bildnachbearbeitung. Das Einfrieren von Patientenbewegungen sei heute möglich, und das Anfertigen von Bildern eines gesamten Thorax bewege sich im Subsekundenbereich, erläutert Schlemmer. Mit übereinandergelegten Schnitten in Datenstapeln lassen sich 3-D-Volumen errechnen, die beliebige Raumbewegungen ermöglichen. Mit Dual Energy, also der Gabe von zwei Energien mit unterschiedlicher Absorptions-charakteristik, lassen sich bei Kontrastmittelgabe virtuelle Bilder ohne Kontrastmittel errechnen. Das spart Dosis – man benötigt nur eine Untersuchung.

Abb. 3: Prototyp des Siretom, 1974 | © Siemens Healthineers

Spannender Ausblick

Das hohe technische Verständnis der Radiologen schaffe die Grundlage für die Weiterentwicklung – in Zusammenarbeit mit Physikern und Informatikern, betont Schlemmer. Vielversprechend seien beispielsweise photonenzählende Detektoren. Hier komme neues Material zum Einsatz; einfliegende Photonen erzeugen Elektronen – ohne den früher notwendigen Lichtblitz zu erfordern. Was hier an Informationen, an Mustern generiert wird, die für unser Auge und unseren Verstand „zu viel“ sind, wird zu einem spannenden Gebiet für die künstliche Intelligenz, ist sich Schlemmer sicher. So ermöglicht die hohe Leistungsfähigkeit moderner Rechner die Auswertung aller Texturparameter im Kontext klinischer Ergebnisse.

MTA: Potenziale nutzen – weniger Strahlung, viel bessere Diagnostik

Wo sieht Schlemmer die Relevanz dieser Entwicklungen für die MTA? Es gebe mehr Möglichkeiten zur Dosisreduktion in modernen CT – wichtig für MTA auch aus der Verantwortung für die Patienten heraus – und die Beschleunigung, Verkürzung von Untersuchungen. Die moderne CT unterstütze automatisiert die Bildnachverarbeitung ..., was den MTA einen Teil der Arbeit abnehme. Einerseits steigen die Anforderungen an MTA hinsichtlich des Umgangs mit immer komplexeren Technologien, andererseits könnten sie stolz darauf sein, mit solch potenten Geräten und Tools die richtige Grundlage für Diagnosen und Therapiestellungen zu generieren, resümiert Prof. Schlemmer. „MTA sind privilegiert – sie dürfen, sie sollten sich bewusst sein, dass sie an einer faszinierenden Technologieentwicklung zum Vorteil von Patienten teilhaben.“

Technische Infos zum CT

In der Gantry befindet sich das Messsystem aus Röntgenröhre und Detektor. Das gewöhnlich zwischen 400 und 1.600 Kilogramm schwere System umkreist mehrmals in der Sekunde die zu untersuchende Person – über einen fächerförmigen Röntgenstrahl, der von weichem Körpergewebe weniger abgeschwächt wird als von festem. Am Detektor treffen die Strahlen auf einen Szintillator, der die registrierten Röntgenstrahlen in Licht umwandelt. Photodioden setzen das Licht in elektrischen Strom um, ein Wandler macht aus den analogen Signalen digitale Daten und leitet diese zur Auswertung an den Rechner weiter. Der Computer übersetzt die Messwerte ohne Verzögerung in einzelne Schichtbilder oder in ein dreidimensionales Modell des ganzen Körpers. Die Behandelnden können den gescannten Körper am Monitor drehen, zoomen und bei Bedarf virtuell am Bildschirm abbilden. Ein großer Vorteil der CT-Bilder besteht darin, dass es keine Überlagerungen gibt. Die hohe Bildauflösung macht selbst kleine Gefäße sichtbar, beispielsweise am Herzmuskel oder im Gehirn. Besonders geeignet ist die Computertomografie zur Abbildung feinster Knochenfrakturen und Organveränderungen, zur Tumorsuche, für Herzuntersuchungen und zur raschen Diagnose innerer Verletzungen. Die Untersuchung ist völlig schmerzfrei und dauert von der Vorbereitung bis zum Ergebnisbild meist weniger als zehn Minuten. Moderne CT-Systeme analysieren die individuelle Körperanatomie und berechnen für jede Untersuchung die optimale Strahlendosis. Die Strahlenexposition wird in der Einheit Millisievert (mSv) gemessen. Die natürliche Röntgenstrahlung, der ein Mensch in Deutschland pro Jahr ausgesetzt ist, beträgt durchschnittlich 2,4 Millisievert. Die minimale Dosis für einen Lungenscan mit einem neuen CT-Scanner beträgt circa 0,1 mSv. Der erste Prototyp bei Siemens erhielt den Namen „Siretom“ und wurde im Jahr 1974 fertiggestellt beziehungsweise 1975 auf dem ECS in Edinburgh öffentlich präsentiert (Quelle: Siemens).

Entnommen aus MTA Dialog 10/2021

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