Bildungsurlaub

Pilze suchen in den Vogesen und/oder Investment in die Entwicklung beruflicher Qualifikationen?
Angelika Thomas-Semm
Bildungsurlaub
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Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in einem Übereinkommen mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 1974 dazu verpflichtet, bezahlten Bildungsurlaub einzuführen.

Dieser soll dem Zwecke dienen, allen Arbeitnehmern/-innen, in eigens dafür ausgewählten Angeboten, die Möglichkeit zu geben, sich allgemein, politisch, gewerkschaftlich sowie beruflich weiterzubilden. In Ermangelung der Bildungshoheit des Bundes verabschiedeten infolge die einzelnen Bundesländer eigene Landesgesetze dazu. In der Regel darf von einer bezahlten Freistellung von fünf Tagen/Jahr, beziehungsweise mit Antrag auf Übertrag zehn Tagen in zwei Jahren, zur beruflichen oder politischen Bildung ausgegangen werden. Abweichungen oder Besonderheiten sind in den jeweiligen Landesgesetzen geregelt. Im Bundesdurchschnitt machen in der Regel nur ein bis zwei Prozent aller Arbeitnehmer/-innen von ihrem Recht auf Bildungsurlaub Gebrauch. Frauen zahlenmäßig derzeitig noch in geringerem Umfang als Männer. Kostenaufwendungen für die Bildungsfreistellung werden den Arbeitgebern, insbesondere den kleinen und mittelständischen Betrieben (KMU), je nach Gesetzeslage und Bundesland, in unterschiedlicher Höhe pauschal vergütet. Den Anspruch verbeamteter Mitarbeiter/-innen regelt § 9 der Sonderurlaubsverordnung des Bundes beziehungsweise entsprechende Regelungen der einzelnen Bundesländer. Sachsen und Bayern ausgenommen, hier gibt es bisher keine Bildungsurlaubsgesetzgebung. Eine Initiative des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), die, unterstützt vom Arbeitsminister des Landes, eine Änderung des Rechts auf Bildungsfreistellung in Sachsen fordert, weist nachdrücklich auf das Fehlen und die damit zusammenhängende derzeitige Benachteiligung der Mitarbeiter/-innen des Landes hin. Und verweist in diesem Zusammenhang auf ein Zitat von Prof. Dr. Sabine Schmidt-Lauff, Inhaberin des Lehrstuhls für Weiterbildung und lebenslanges Lernen an der Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg, zu den gewinnbringenden Faktoren einer solchen Freistellung: „Fünf Tage Zeit für Lernen. Das ist viel Zeit zum Nachdenken, zum Reflektieren, für Diskurse – zum Austauschen von Kontroversen und Interessen. So viel Zeit nimmt sich der durchschnittliche Kurs, gerade im beruflich-betrieblichen Bereich, überhaupt nicht mehr. Das heißt, es entsteht wieder eine ganz neue Lernkultur im Erwachsenenalter. Das entfaltet auch andere Zeitqualitäten – auch das zur Ruhe kommen und das reflektieren können.“1

Die Anfänge der Bildungsfreistellungen waren vom Gesetzgeber in erster Linie zur politischen Bildung gedacht, um zum Beispiel andere Länder, politische Systeme, Kulturen oder Sprachen kennenzulernen. Pilze suchen in den Vogesen und das Erleben von Land und Leuten, für viele damals eine interessante Option. Heute liegt der Schwerpunkt zunehmend eher auf der Nutzung berufsqualifizierender Angebote, was sich im Spektrum der zur Auswahl stehenden Kurse deutlich zeigt. Eindrücklich belegt findet man dies in einer neueren Studie „Eigenzeit für Bildung: Nachhaltige biographische Wirkungen“ des Landes Rheinland-Pfalz zur Bildungsfreistellung.2

Die beiden Autorinnen zeigen tabellarisch unter anderem auf, wie sich das Spektrum der als Bildungsfreistellung anerkannten Veranstaltungen und Inhaltsbereiche verschiedenster Bildungsanbieter verändert hat. Waren es 1993/94 noch 78 Prozent der Veranstaltungen, in denen sich Teilnehmende beruflich (einschließlich Sprachen) weiterbilden konnten, so waren es im Jahr 2015/16 bereits 82,3 Prozent. Rein politisch basierte Weiterbildungsangebote stiegen in den gleichen Zeiträumen von 14,5 auf 15,6 Prozent, wohingegen Angebote politisch-beruflicher Weiterbildungen im gleichen Zeitraum von 9,7 auf zuletzt 2,0 Prozent fielen. Im Vergleichszeitraum stieg die Gesamtzahl der Teilnehmenden an Bildungsurlaubsveranstaltungen von 52.527 auf 257.247. Die Ergebnisse der Untersuchungen bestätigen die These, „dass Bildungsfreistellung zu verstehen ist als Bildungszeit und als Zeit für Bildung. Sie ist nach wie vor das einzige Instrument, das von allen Arbeitnehmer/-innen genutzt werden kann, sich eine Auszeit für Bildung zu nehmen. Berufliche Bildung verfolgt andere Ziele, ist hoch selektiv und funktionsbezogen. Bildungsfreistellung wird hingegen entsprechend ihrer ursprünglichen Idee Ausgangspunkt für Bildungsprozesse, die Menschen dazu befähigen, Interessen zu entwickeln und begründet in subjektive Lernprozesse einzutreten, die nicht nur individuell, sondern auch kollektiv zu Veränderungen führen können.“ Das Resümee der beiden Autorinnen: „Fünf Tage sind einfach zu wenig – aber ein Anfang.“3

Warum geraten dann die Beantragung von Bildungsurlaub sowie die Auswahl entsprechender Angebote immer wieder in die Kritik? Verantwortlich dafür sind unter anderem die zunehmend enge Taktung betrieblicher Abläufe wie auch betriebliche und rechtliche Konflikte um das Recht auf Bildungsfreistellung. Stets begleitet von der Frage, inwieweit besuchte Seminare tatsächlich beruflicher beziehungsweise persönlicher Weiterentwicklung zuträglich sind oder doch eher privaten Interessen dienen und deswegen missbräuchlich als Erweiterung des gesetzlichen Jahresurlaubs anzunehmen sind. Angebote zu Veranstaltungen zum persönlichen Gesundheitsmanagement, wie zum Beispiel Yoga- und Meditationskurse, werden von Arbeitgebern/-innen und der Öffentlichkeit hierbei besonders kritisch bewertet. Verweise auf Passus in verschiedenen Landesgesetzen sollen bei der Bewertung helfen, den ausschließlich individuellen Nutzen einer Teilnahme an solchen Angeboten auszuschließen oder zu minimieren. Ausgenommen davon waren bisher nur Anträge von Zugehörigen diverser Berufsgruppen im Gesundheitswesen. Die zunehmende Bedeutsamkeit gesundheitspräventiver Maßnahmen im Arbeitsalltag führt jedoch dazu, juristisch andere Deutungen der entsprechenden Rechtsprechung zu erhalten. So stellt ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg am 11. April 2019 (Az: 10 Sa 2076/18 zum Kursangebot „Erfolgreich und entspannt im Beruf mit Yoga und Meditation“) die Selbstverständlichkeit fest, dass Bildungsurlaub nicht zugleich beiden in den Gesetzen stets genannten Zielen – der politischen und beruflichen Bildung – dienen muss. „Zur beruflichen Qualifikation im Sinne § 1 Abs. 4 BiUrLG zähle – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht lediglich die berufsfachliche Qualifikation, also die Fachkompetenz im engeren Sinne, sondern auch die persönliche und soziale Kompetenz, die gemeinsam erst im Zusammenspiel die sachgerechte und fortlaufende Ausübung einer beruflichen Tätigkeit ermöglichen würde.“4

Das Deutsche Institut zur Weiterbildung von Technologen/-innen und Analytiker/-innen in der Medizin (DIW-MTA) e. V. Berlin mit seinem breit gefächerten Bildungs- und Seminarangebot bietet auf seiner Webseite einen guten Überblick über die spezifischen Freistellungsmöglichkeiten in den einzelnen Bundesländern, in denen das Unternehmen der Antragstellenden seinen Sitz hat sowie über mögliche Ansprüche der Beschäftigten.

Wollen Sie ein Seminar beim DIW-MTA e.V. belegen und dafür Bildungsfreistellung beantragen, so ist es wichtig, dass Sie Ihren Anspruch zuerst Ihrem Arbeitgeber gegenüber kommunizieren und frühzeitig – mindestens jedoch drei Monate vor Beginn des Seminars – auch die Geschäftsstelle darüber in Kenntnis setzen. In einem nächsten Schritt beantragt das DIW-MTA e.V. dann bei der zuständigen Landesbehörde die Anerkennung des Seminars als bildungsurlaubsfähige Veranstaltung. Wir freuen uns auf Sie! Nähere Informationen unter: diw-mta.de/mta-weiterbildung-foerderung-stipendium.

1 www.bildungsurlaub.de/blog/2019/01/bildungszeit-auch-in-sachsen/, zuletzt abgerufen 29.07.2019.

2 Zeuner, C./Pabst, A. (2018): „Eigenzeit für Bildung: Nachhaltige biographische Wirkungen“ des Landes Rheinland-Pfalz zur Bildungsfreistellung. Helmut-Schmidt Universität Hamburg, S. 1–27 [URL: bildungsfreistellung-rlp.de/wp-content/uploads/2016/12/BF-in-RLP_Vortrag_12.04.2018_Zeuner-Pabst.pdf], zuletzt abgerufen am 29.07.2019.

3 Zeuner, C./Pabst, A. (2018): „Eigenzeit für Bildung: Nachhaltige biographische Wirkungen“ des Landes Rheinland-Pfalz zur Bildungsfreistellung. Helmut-Schmidt Universität Hamburg, S. 1–27 [URL: bildungsfreistellung-rlp.de/wp-content/uploads/2016/12/BF-in-RLP_Vortrag_12.04.2018_Zeuner-Pabst.pdf], zuletzt abgerufen am 29.07.2019.

4 LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil 10. Kammer (Az 10 Sa 2076/18) „Bildungsurlaub – berufliche Weiterbildung – Yoga-Entspannungstechniken“, www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de, abgerufen 29.07.2019.

Entnommen aus MTA Dialog 9/2019

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