Auswirkung von BPA/BPS auf Hirnzellen?

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In einer im April 2021 veröffentlichten Studie zu Wirkungen von BPA und BPS auf Hirnzellen im Hirnstamm von Goldfischen werden Effekte beschrieben, die auf Auswirkungen auf die neuronale Signalübertragung im Gehirn hinweisen könnten. Was sagt das BfR dazu?

In einer im April 2021 veröffentlichten Studie zu Wirkungen von Bisphenol A (BPA) und Bisphenol S (BPS) auf Hirnzellen im Hirnstamm von Goldfischen (Schirmer, E., Schuster, S. & Machnik, P. Bisphenols exert detrimental effects on neuronal signaling in mature vertebrate brains. Commun Biol 4, 465 (2021). doi.org/10.1038/s42003-021-01966-w) werden Effekte beschrieben, die auf Auswirkungen auf die neuronale Signalübertragung im Gehirn hinweisen könnten. Dies seien nach Ansicht der Autoren beunruhigende Ergebnisse und die Forscher geben zu bedenken, dass eine ähnliche Wirkung beim Menschen nicht auszuschließen sei.

MTA Dialog hat deshalb beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nachgefragt: Wie bewertet das BfR diese Ergebnisse und werden diese Ergebnisse zu einer Neueinschätzung/weiteren Untersuchungen seitens des BfR führen?

Hier die Antwort:

Dem BfR ist bekannt, dass BPA-Effekte auf das Gehirn, insbesondere das sich entwickelnde Gehirn, haben kann. Die Basis hierfür sind sowohl Studien in üblichen Nagerspezies als auch Daten vom Menschen. Allerdings sind v.a. die Humanstudien mit Unsicherheiten behaftet. Ob die in der genannten Studie an einem fischspezifischen Nerv (dem sogenannten Mauthner Neuron, der die Auslösung von Fluchtreflexen steuert) beobachteten Effekte für Menschen relevant sind, lässt sich ohne weitere Untersuchungen – beispielsweise zum Wirkmechanismus – nicht sagen.

Unsicherheiten zur Relevanz der Arbeiten ergeben sich auch dadurch, dass einige Untersuchungsergebnisse keine Dosisabhängigkeit zeigen. So zeigt sich beispielsweise bei der niedrigsten geprüften Testkonzentration (10 µg/L BPA oder BPS) im Wasser, dem die Fische ausgesetzt waren, nach optischer Reizung ein stärkerer Effekt auf die Höhe des Aktionspotentials des untersuchten Hirnnervs als bei einer 100fach höheren Konzentration von 1 mg/L. Auch sind die beobachteten Effekte nicht immer in sich konsistent. So zeigt sich nach einem akustischen Reiz auf die behandelten Tiere ein im Vergleich zur Kontrollgruppe höheres Aktionspotential an den untersuchten Hirnnerven, wohingegen das Potenzial nach einem optischen Reiz im Vergleich zur Kontrollgruppe niedriger ist. Eine Aussage zur Dauerhaftigkeit der möglichen Effekte ist anhand des vorliegenden Studiendesigns und der untersuchten Parameter ebenfalls nicht möglich, da die Tiere nur vier Wochen lang im mit BPA- bzw. BPS-behandelten Wasser lebten. Auch Aussagen zu einer möglichen biologischen Relevanz der gemessenen Effekte sind auf der Grundlage der Studie nicht möglich. Zudem lassen die verwendeten Testkonzentrationen im Umgebungswasser der Goldfische keinen Schluss auf die tatsächliche Dosis in den Versuchstieren zu. Diese wäre jedoch notwendig, um eine mögliche Relevanz im Vergleich zu bei Menschen auftretenden BPA-Konzentrationen abschätzen zu können.

Zusätzlich weist die Veröffentlichung einige zum Teil gravierende Mängel auf. So wird beispielsweise nicht berichtet, ob die Studie unter den Prinzipien der Guten Laborpraxis (GLP) durchgeführt wurde und ob die Experimente (doppelt) verblindet durchgeführt wurden. Auch Details zur Exposition und Haltung der Tiere sind nicht berichtet. So wurde das Experiment (offenbar) in einem semistatischen System durchgeführt. Es gibt jedoch keine Angabe über die Häufigkeit des Mediumwechsels, und es wurde keine Wasseranalytik durchgeführt, um die tatsächlichen Konzentrationen an BPA und BPS im Wasser zu bestimmen. Zudem wurde nicht berichtet, ob eine Geschlechtsbestimmung in den einzelnen Behandlungsgruppen durchgeführt wurde, die gerade bei endokrinen Mechanismen (östrogen) von großer Bedeutung sein kann.

Effekte auf das Gehirn und das Nervensystem, die für Säuger bekannt sind, wurden in aktuellen Risikobewertungen berücksichtigt (vgl. EFSA, 2015; ECHA, 2017 (Restriktion von BPA in Thermopapier nach REACH-Verordnung und entsprechendes Background Dokument des bewertenden Risk Assessment Committees [RAC]). Auch den Unsicherheiten, die mit diesen Studien assoziiert sind, wurde in den entsprechenden Dokumenten Rechnung getragen. In den Risikobewertungen durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (englisch: European Food Safety Authority, EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) wurde dargestellt, dass Effekte auf andere Organsysteme (z. B. auf die Brustdrüsen bzw. die Nieren) im Vergleich zu den Effekten auf Gehirn und Entwicklung bei niedrigeren Konzentrationen aufgetreten sind. Bei Einhaltung der abgeleiteten gesundheitlichen Richtwerte sind negative Effekte auf das Gehirn bzw. die Entwicklung entsprechend sehr unwahrscheinlich.

Um den oben erwähnten Unsicherheiten Rechnung zu tragen, wurde bei der Risikobewertung ergänzend zu den üblichen Sicherheitsfaktoren ein zusätzlicher Faktor von 3 bzw. 6 mit einbezogen. Die von der EFSA (2015) berechnete Gesamtexposition der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber Bisphenol A lag deutlich unterhalb des gesundheitlichen Richtwerts. Aktuellere Daten deuten zudem darauf hin, dass die Exposition inzwischen weiter abgenommen hat – sicher auch aufgrund der europäischen Regulation (z. B. in Thermopapier). Ein erhöhtes Gesundheitsrisiko ist dementsprechend nach aktuellem Wissensstand sehr unwahrscheinlich.

Um den Stand der Forschungen zu BPA und seinen Alternativen zu berücksichtigen, werden bestehende Risikobewertungen überarbeitet. Derzeit arbeitet die EFSA an einer Neubewertung von Bisphenol A . Der Entwurf zur Neubewertung soll im Dezember 2021 der Öffentlichkeit zur Kommentierung vorgestellt werden. Die ECHA wird ab 2022 einen weiteren Beschränkungsvorschlag zu Bisphenol A in Bezug auf seine Eigenschaften als endokriner Disruptor für die Umwelt bewerten, der aktuell von deutschen Behörden vorbereitet wird.

Zu BPS ist die toxikologische Datenlage nicht so umfangreich wie zu BPA. Alle bisherigen Studien deuten jedoch darauf hin, dass BPS ähnliche toxikologische Eigenschaften wie BPA aufweist. Um den Ersatz von Bisphenol A durch Substanzen mit ähnlicher Struktur und vergleichbaren toxikologischen Eigenschaften zu verhindern, wurde durch die ECHA eine Bisphenol-Arbeitsgruppe gegründet, deren Ziel es ist, die Informationen zu diesen Substanzen zu überprüfen, ggf. Studien zu fordern und in regulatorische Prozesse einzuspeisen.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie geben nach Ansicht des BfR keinen Anlass für eine Überarbeitung der Bewertung von BPA oder BPS, da das experimentelle Design die Anforderungen an eine bewertungsrelevante Studie nicht erfüllt, die Relevanz der Ergebnisse für den Menschen unklar ist und die Studie zudem eine ganze Reihe an Inkonsistenzen und Mängeln aufweist. Insgesamt stellt die Studie jedoch bei allen Mängeln und Limitierungen einen interessanten Hinweis auf mögliche Effekte von Bisphenolen auf die neuronale Reizverarbeitung in Fischen dar, der aber mit weiteren Untersuchungen zur Dosis-Wirkungsbeziehung und zu einem möglichen Wirkmechanismus untermauert werden müsste. Zu Fragen der umwelttoxikologischen Relevanz äußert sich das BfR nicht, da für diesen Bereich das Umweltbundesamt zuständig ist.

Das BfR weist zudem darauf hin, dass BPA und BPS im Gegensatz zur Aussage der Autorenschaft keine Weichmacher darstellen. Sie werden vor allem als Monomere in der Herstellung von polymeren Kunststoffen wie Polycarbonaten, Polysulfonen und Epoxidharzen eingesetzt. Die Verwendung von Bisphenol A in Thermopapieren ist seit Anfang des Jahres 2020 in Europa verboten. Für weitere Informationen hat das BfR Antworten zu häufig gestellten Fragen zu Bisphenol A in verbrauchernahen Produkten zusammengestellt.

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