Armut als Krankheitsrisiko

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Menschen an der Schwelle zur Armut leiden nicht nur unter materiellen, sondern auch an immateriellen Verlustängsten, Fotolia(photodesign
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Die gesundheitlichen Risiken, die mit Armut verbunden sind, werden – jedenfalls nach der eigenen Einschätzung der Betroffenen – durch die finanzielle Zuwendung kaum verhindert.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) begleitet im „Sozioökonomischen Panel“ seit 1984 eine Gruppe von etwa 12.000 Privathaushalten. Im jährlichen Turnus werden die Teilnehmer nach ihren Lebensbedingungen befragt.

Erfasst wird auch der Bezug von Sozialleistungen. Dazu gehören in Deutschland nicht nur Arbeitslosengeld und Sozialgeld, sondern auch Kindergeld, BAföG und Leistungen der Pflegeversicherung.

2010 fragte das DIW bei den Teilnehmern nach, wie sie ihren eigenen Gesundheitszustand einschätzen. Auf einer Skala konnten sie zwischen „sehr gut“, „gut“, „zufriedenstellend“, „weniger gut“ und „schlecht“ wählen.

Timo-Kolja Pförtner vom Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft der Universität Köln hat gemeinsam mit Nadja Schumann, Medizinsoziologin an der Universität Halle-Wittenberg, die Antworten mit dem Armutsrisiko in Beziehung gesetzt und kam zu folgenden Ergebnissen:

Teilnehmer, die vor Erhalt der Sozialleistungen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens zur Verfügung hatten und damit von relativer Armut betroffen waren, schätzten ihre Gesundheit schlechter ein als Menschen, die keine finanziellen Probleme haben. Die Aussagen der Teilnehmer bestätigen damit, dass Armut weiterhin eine wesentliche Ursache für ein erhöhtes Krankheits- und Sterberisiko ist.

Ein weiteres Ergebnis der Studie überrascht jedoch: Menschen, die durch die Sozialleistungen vor Armut bewahrt werden, stuften ihren Gesundheitszustand keineswegs so gut ein wie Menschen, die ohne Sozialleistungen auskommen. Ihre subjektive Einschätzung war tendenziell sogar noch schlechter als die von Menschen, die trotz der Transferzahlungen unter der Armutsgrenze blieben###more###

Ähnliche Ergebnisse in anderen Ländern

„Die transfergesteuerte Vermeidung von Armut war häufig mit einer Verschlechterung des Gesundheitsrisikos verbunden“, so Pförtner und Kollegin. Besonders häufig beobachtete der Medizinsoziologe dieses Phänomen bei Arbeitslosen, alleinerziehenden Frauen und bei Personen, in deren Haushalt ein pflegebedürftiger Angehöriger versorgt wurde.

Die genauen Ursachen und Gründe für das Ergebnis kann die Studie nicht klären. Untersuchungen in anderen Ländern sind laut Pförtner und Ko-Autorin jedoch zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Diese bringen den Bezug von Sozialleistungen vor allem mit einer Verschlechterung der mentalen Gesundheit in Verbindung.

Die beiden Medizinsoziologen vermuten deshalb, dass Menschen an der Schwelle zur Armut nicht nur unter materiellen, sondern auch an immateriellen Verlustängsten leiden, die als Stressor ihre subjektive Gesundheit gefährden. Die drohende Einkommensarmut werde vor allem von Männern als Stigma erlebt, da sie ihre Rolle als Hauptverdiener nicht erfüllen können, schreibt der Experte. Die Ergebnisse legten nahe, dass Sozialleistungen diese subjektive Einschätzung nicht verändern.

Gesundheitszustand als Grund für den Bezug von Sozialleistungen

Pförtner verweist auf Studien, nach denen versicherungsbasierte Sozialleistungen, wie etwa Arbeitslosengeld I, positive Gesundheitseffekte haben, bedarfsgeprüfte Sozialleistungen, wie etwa Arbeitslosengeld II, dagegen nicht. Neben den spezifischen Lebensumständen müsse daher auch berücksichtigt werden, auf welchem Prinzip der Leistungsbezug erfolgte.

Auf der anderen Seite geben die Autoren aber auch zu bedenken, dass ein Teil der Befragten erst aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation auf Transferleistungen angewiesen sein könnten. In diesen Fällen wäre ihr Gesundheitszustand nicht die Folge, sondern der Grund für den Bezug von Sozialleistungen.

 Quelle: Thieme, 21.10.2016


T.-K. Pförtner und N. Schumann:
Armut, öffentliche Sozialtransfers und Gesundheit: Eine Analyse zur subjektiven Gesundheit von Sozialleistungsbeziehern in Deutschland
Das Gesundheitswesen 2016; 78 (8/9); e69–e79

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